: Die unglaublichen Geschichten des Youseef Amin
■ Im „Mykonos“-Prozeß wartet ein Angeklagter mit einer neuen Tatversion auf
Berlin (taz) – Für den Vertreter der Nebenklage, Wolfgang Wieland, stand nach dem gestrigen 7. Verhandlungstag des „Mykonos“- Prozesses zweierlei fest: Der Angeklagte Youssef Amin, auf dessen Aussagen sich die Anklage wesentlich stützt, „darf lügen, und nach meiner Meinung lügt er auch“. Während der erste Teil von Wielands Ausführung lediglich Amins Recht als Beschuldigter benannte, klassifizierte der zweite Teil die Schilderung, die Amin gestern dem Gericht vom Tatgeschehen gab. In seiner Aussage änderte Amin alle Geschehnisabläufe gegenüber seinen Angaben, die er vor dem Prozeß gegenüber der Polizei und dem Ermittlungsrichter gemacht hatte – bis auf eine Ausnahme. Seinen eigenen Tatbeitrag an dem Attentat bestätigte er auch in seiner gestrigen Version. Danach hat er vor dem Eingang des „Mykonos“ dafür gesorgt, daß niemand das Restaurant betritt, derweil drinnen vier kurdische Oppositionspolitiker des Iran liquidiert wurden.
Den Drahtzieher des Anschlages will er nun jedoch nicht mehr beim iranischen Geheimdienst VEVAK geortet wissen, wie es noch in der Anklageschrift steht. Gestern machte Amin vielmehr irakische Kurden dafür verantwortlich. Entsprechend erhielten seine beiden Mitangeklagten, Kazem Darabi, den die Bundesanwaltschaft für einen VEVAK- Agenten hält, und Abbas Rhayel, der die tödlichen Schüsse abgegeben haben soll, in seiner neuen Version der Ereignisse lediglich eine Nebenrolle.
Rhayels Rolle als Attentäter nimmt in Amins Geständnis gestern ein „Mohamed S.“ ein. Mit von der Partie ist bei der neuen wie bei der alten Fassung ein „Sharif“, der der zweite Todesschütze sein soll. Beider Identität ist jedoch bislang vollends unbekannt.
Während, laut Anklageschrift, Darabi als Drahtzieher die konspirative Wohnung zur Tatvorbereitung zur Verfügung gestellt haben soll, kommt diese Rolle in Amins Schilderung einem Mahmud A. zu. Dieser hat bislang lediglich im Verdacht gestanden, einer der Ausweisbeschaffer gewesen zu sein. Er wurde jedoch nicht angeklagt. A. Soll Amin nach Berlin beordert und in eine Wohnung in Ostberlin verbracht haben, die Ausgangspunkt des Anschlages war. Amin belastete neben Mahmud A. einen Hussein Ch., der bislang lediglich als Transporteur gefälschter Pässe in den Ermittlungsakten in Erscheinung getreten war. Dieser soll nun den Fluchtwagen gefahren haben.
Auch wenn die Personen ausgewechselt wurden, stimmen die Schilderungen des direkten Tatablaufs in der Anklageschrift und in Amins Ausführungen weitgehend überein. Er selbst will von den Attentatsplänen allerdings nichts gewußt haben. „Mohamed“ habe ihm gesagt, er wolle in das Restaurant gehen „und ein Problem lösen“. Amin solle an der Tür aufpassen, daß niemand reinkommt.
Vor seinem Geständnis hatte Amin mehrmals die Nennung von konkreten Namen verweigert und auf eine mögliche Gefährdung seiner Angehörigen hingewiesen. Die Bundesanwaltschaft hatte am letzten Prozeßtag bestätigt, daß diese kurz nach Amins Festnahme wegen dieser Gefährdung ihren Wohnsitz in Rheine verlegt haben. Das Schicksal von Amins Eltern ist hingegen noch immer ungewiß. Sie sollen nach einer Information des ehemaligen iranischen Staatspräsidenten Banisadre im Libanon entführt worden seien. Die Bundesanwaltschaft konnte diese Meldung bislang nicht bestätigen.
Für Wieland ist Amins gestrige Tatversion lediglich „ein Ablenkungsmanöver, um bei den Mitangeklagten eine bessere Rolle zu bekommen“. Er vertraut nun auf die anderen „objektiven Beweismittel“. Für Darabis Anwalt Detlev Kolloge steht hingegen fest, „daß Amin als Beweismittel immer unbrauchbarer wird“. Für Darabi anscheinend ein Grund der Erleichterung, denn gegen ihn, so Kolloge, „gibt es ansonsten kein Beweismittel, es gibt die Aussage von Amin und einen allgemeinen Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz“. Dieter Rulff
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