: Alles richtig, aber hilft uns das?
■ Über die Podiumsdiskussion: Wieviel Ethik braucht eine fortschrittliche Politik?" mit Michael Lerner im Amerikahaus
„Wieviel Ethik braucht der Mensch?“ Nein, diese Frage wollte man nicht gleich beantworten. Die Diskussionsrunde, die sich am Donnerstag abend im Amerikahaus versammelte, war bescheidener. Sie traf sich nur unter dem Titel „Wieviel Ethik braucht eine fortschrittliche Politik?“, und im Untertitel versprach man sich einiges „Zur Aktualität ewiger Werte“. Die Anregung zu dieser Diskussion kam vom Hauptredner selbst, Michael Lerner, jüdischer Linksintellektueller aus Kalifornien und Herausgeber der Zeitschrift Tikkun – ein Mann mit einer Aufgabe. Und die brachte er auf das Schlagwort einer „politics of meaning“.
Der Rechtsruck, den die westlichen Gesellschaften seit den achtziger Jahren machen, so diagnostiziert er, habe wenig mit ökonomischen oder politischen Ursachen zu tun, sondern mehr mit der Entwurzelung, die der einzelne im täglichen Leben erfährt. Unsere Gesellschaften seien kälter, materialistischer, egoistischer geworden. Das sei es, woraus die Rechten Kapital schlagen und was die Linken nie verstanden haben. Linke und Liberale haben sich mehr auf die ökonomischen Bedingungen und die Mechanismen des Sozialstaats verlassen. Lerner plädiert dafür, daß endlich auch die Linke einen Wertewandel auf ihre Fahnen schreibe, eine Welt der Selbstsucht in eine Welt der verantwortungsvollen Sorge füreinander zu transformieren.
Einen ersten Erfolg konnte er verbuchen, als irgend so ein Gouverneur aus Arkansas zum Abonnenten seiner Zeitschrift wurde – Bill Clinton, der die politics of meaning dann auch zum Bestandteil seines Wahlkampfes machte. Doch die Politik des Präsidenten enttäuschte Lerner, Clinton habe nicht begriffen, wie stark seine Rolle als Vorbild der Nation sei. Er habe es versäumt, die Paradigmen der Politik zu ändern, die Bedeutung des Mitleids, der Solidarität, überhaupt neuer Werte und Normen zu vermitteln. Als Vorbilder zitiert Lerner die Thora und den Feminismus, und er vertritt seine Sache mit Enthusiasmus. In seine Diagnose stimmen Freimut Duve von der SPD und die Politologin Gesine Schwan dann auch mit Überzeugung ein. Und in der Tat ist das Plädoyer für eine ethische Orientierung der Politik ja nie falsch, aber hilft es uns? Auf dem Podium wagte allein Andreas Zumach, Zweifel an der Diagnose anzumelden. Daß wir in einer Ellenbogengesellschaft leben, will auch er nicht bezweifeln, aber lassen sich kapitalistische Strukturen und die Entwicklung der Medien, die diese Gesellschaft fordern und fördern, allein durch eine charismatische Politik neuer Werte bekämpfen? Und vor allen Dingen hätten Linke und Liberale die Wertediskussion keinesfalls den Rechten überlassen. Denn gerade sie hätten die Wertefrage immer gestellt, wenn auch vielleicht mehr durch ihr Leben und Handeln als durch öffentliche Diskussionen.
In der Tat: So neu, wie Michael Lerner uns weismachen will, sind seine Thesen denn nun auch nicht. Schon öfter hörte man auch hierzulande ähnliches: Die permissive Gesellschaft sei es, die an Mölln und Rostock die Schuld trage, und letztlich auch die 68er, deren antiautoritäre Erziehung der Konsumgesellschaft nur in die Hände gearbeitet habe.
Aber mit ebensoviel Recht kann man dann auch sagen, daß die Rechten eine Reaktion auf die Moral der linken Lehrer sind. Es ist ja nicht so, daß die einen Werte anzubieten hätten und die anderen nicht. Die Frage ist nur, warum die Rechten für manche Leute die überzeugenderen Werte anzubieten haben. Dazu müßte man denn aber doch etwas mehr ins Detail gehen. Und so wurde die Diskussion auch dann erst richtig fruchtbar, als man die Frage stellte, wie man zum Beispiel im konkreten Fall Bosnien handeln sollte. Hier beherrschten Duve und Zumach sachkundig das Feld. Aber das war eine andere Diskussion. Rüdiger Zill
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