: Kafkaeske Situation für Flüchtlinge
Mißhandlungen im eigenen Land sind bekannt, doch einen generellen Abschiebestopp für die Kosovo-Albaner gibt es nicht mehr / Gerichte bewerten Asylanspruch unterschiedlich ■ Von Vera Gaserow
Berlin (taz) – „Ein Einvernehmen konnte nicht hergestellt werden“ – wenn die Innenminister von Bund und Ländern am morgigen Donnerstag zu ihrer turnusmäßigen Konferenz zusammenkommen, dann ist diese Protokollnotiz unter einem der Tagesordnungspunkte schon heute vorprogrammiert: die versammelte Politikerschar wird sich erneut nicht darauf verständigen können, was mit den Kriegsflüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien passieren soll. Einen generellen Abschiebestopp gibt es nur noch für Bosnier und für die Kroaten, die vor dem Stichtag 23. Mai 1992 nach Deutschland kamen.
Bei allen anderen Flüchtlingsgruppen – ihre Zahl wird auf über hunderttausend geschätzt – hängt es meist von der Willkür, der Überlastung oder von dem Goodwill der jeweiligen Ausländerbehörden ab, ob die rechtlich längst verfügten Abschiebungen dann tatsächlich auch vollstreckt werden. Selbst auf einen einheitlichen Kriterienkatalog, daß etwa Kriegsdienstverweiger und Deserteure, Angehörige ethnischer Minderheiten und ethnisch gemischter Ehen oder Menschen aus besetzten Gebieten von einer Abschiebung ausgenommen sind, konnten sich die Innenminister bisher nicht verständigen – und sie werden es auch auf ihrem morgigen Treffen kaum tun. Besonders gefährdet sind mehrere tausend albanische Flüchtlinge aus der serbischen Provinz Kosovo, die in der Bundesrepublik Schutz gesucht haben vor ethnischer Diskriminierung, Menschenrechtsverletzungen und Folter. Als einziges Bundesland hatte Nordrhein- Westfalen den im Frühjahr ausgelaufenen Abschiebestopp für diese Region um sechs Monate verlängert.
Doch auch dieser Alleingang konnte nur sechs Monate lang aufschiebende Wirkung haben und ist bereits seit Ende September „verjährt“. Er hätte nur weiterhin Bestand, wenn er jetzt auf der Innenministerkonferenz eine hundertprozentige Mehrheit fände. Doch ein entsprechender Antrag von NRW-Innenminister Schnoor auf einen erneuten bundesweiten Abschiebestopp wird an der mangelnden Zustimmung der anderen Bundesländer scheitern.
Am nötigen Wissen darüber, was den Kosovo-Albanern nach einer Abschiebung in die Heimat droht, fehlt es nicht. „Zahlreiche willkürliche Übergriffe und körperliche Mißhandlungen seitens der Sicherheitsbehörden“ und „gewalttätige Exzesse, im Einzelfall mit Todesfolge“, vermeldet der Lagebericht des Auswärtigen Amtes. „Derzeit“, so heißt es dort weiter, „sind alle albanischen Professoren, Angestellten und Studenten von der Universität verwiesen; so gut wie alle albanischen Angestellten und Arbeiter im Kosovo sind entlassen, darunter auch fast alle Ärzte und Lehrer.“
Von einer „bedrängten Lage, die von Repressalien und Diskriminierungen gekennzeichnet ist“, schreibt am 9. November selbst das Bundesinnenministerium. Einen Abschiebestopp lehnt man dort dennoch ab. Denkwürdige Begründung: der Abschiebeschutz würde zu zahlreich in Anspruch genommen und müßte zu lange in Kraft bleiben.
Originalton des zuständigen Staatssekretärs: „Da nicht abzusehen ist, wann es künftig den Minderheiten in Serbien und Montenegro wieder möglich sein wird, frei von Repressalien und Diskriminierungen zu leben, ist auch nicht absehbar, wann ein jetzt beschlossener Abschiebestopp wieder aufgehoben werden könnte.“
Für die betroffenen Flüchtlinge entsteht dadurch eine kafkaeske Situation: Nähmen die Innenminister ihre eigene Entscheidung ernst, müßten die Kosovo-Albaner schon längst zu Tausenden abgeschoben sein. Doch Abschiebungen in den Kosovo stoßen derzeit auf große faktische Probleme, da es keine direkte Flugverbindung gibt. Die makedonische Regierung hat schon vor Wochen angekündigt, daß sie die Rückführung der Flüchtlinge über ihren Flughafen Skopje stoppen werde. Einige Ausländerbehörden ordnen deshalb die risikoreiche Abschiebung auf dem Landweg an, was nach den Erfahrungen des UN-Flüchtlingskommissars dazu führt, daß die über die deutsche Grenze Geschobenen nie in ihrer Heimat ankommen. Sie tauchen in Österreich und der Tschechischen Republik unter und werden dort von den Behörden hin- und hergeschoben.
Die Weigerung der Länder, den Abschiebestopp für den Kosovo wieder in Kraft zu setzen, zeugt aber auch auf anderer Ebene von makabrer Kurzsichtigkeit: die Betroffenen werden so in kostspielige und verwaltungsaufwendige Asylverfahren gedrängt. Einmal als Asylbewerber registriert, werden die bisher oft bei Verwandten Untergebrachten in Sammelunterkünfte eingewiesen und auf Staatskosten beherbergt und verpflegt.
Die Chancen der Kosovo-Albaner, als politisch Verfolgte anerkannt zu werden, werden dabei von Gerichten völlig kontrovers gewertet: für Baden-Württemberg hat der Mannheimer Verwaltungsgerichtshof gerade einen Asylanspruch verneint. Für Niedersachsen jedoch hat das nicht gerade als asylfreundlich bekannte Oberverwaltungsgericht Lüneburg entschieden, daß Albaner aus dem Kosovo einer Gruppenverfolgung durch den serbischen Staat ausgesetzt sind und deshalb auch ohne individuellen Nachweis einer Verfolgung politisches Asyl genießen.
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