Zwei Ebenen der Ausbeutung

■ betr.: „Die Bürde des weißen Man nes“, taz vom 20.11.93

[...] Die Diskussion mutet seltsam an. Bereits vor 20 Jahren mußte die katholische Kirche in Faltblättern ihrer Missionswerke Misereor und Adveniat zugeben, daß die Kluft zwischen Arm und Reich immer größer wird und wir den Armen die Butter vom Brot nehmen. Diese These hatte Lenin bereits 1917 in seiner Imperialismus-Theorie aufgestellt – offenbar in richtiger Einschätzung der Sachlage.

Nun soll das plötzlich nicht stimmen? Daß nationale Eliten in Drittweltländern oft korrupt sind und sich schamlos bereichern, ist Legende und nichts Neues. Allerdings wurde immer wieder auf die zwei Ebenen der Ausbeutung hingewiesen, auf die nationale durch die nationale Elite und zusätzlich auf die Ausbeutung durch die Erste Welt. Entsprechend ist seit über 20 Jahren das Wort „Brückenkopf-Bourgeoisie“ ein feststehender Begriff, der genau die (i.d.R. korrupten) nationalen Eliten beschreibt, die sich nur halten konnten, weil sie den Interessen westlicher Staaten treu dienten (Tschiang Kai-schek, Van Thieu, Schah von Persien, Somoza, Marcos usw.). Wenn Westinghouse der brasilianischen Militärjunta ein AKW verkauft, das auf Fließsand steht, hat nicht nur die Junta, sondern auch Westinghouse an teurem Schrott prima verdient.

Nachdem die Europäer allein in Amerika und Afrika seit Beginn des Kolonialismus rund 260 Millionen Menschen verheizt haben, wollten sie nach dem Zweiten Weltkrieg den Entwicklungsländern „helfen“. Seitdem klar wird, daß die Kluft zwischen Erster und Dritter Welt immer größer wird, ist auch der Traum ausgeträumt. Jetzt muß wenigstens „bewiesen“ werden, daß wir (die Erste Welt) nicht schon wieder schuld sind. Hoffentlich gelingt's nicht. B. Siepe, Hannover