: Zweite Garnitur stolpert über die „Busch“-Zulage
Gescheitert sind Sachsen-Anhalts West-Importe an ihrem notorischen Versor- gungsdenken: Im Westen längst auf dem Abstellgleis, hatten die Berufspoliticos ihre Chance gewittert, sich ihr Engagement im Osten nachhaltig versilbern zu lassen.
Sichtlich übernächtigt empfing Sachsen-Anhalts Noch-Regierungschef Werner Münch (CDU) gestern morgen seine Ministerriege zur Krisensitzung in der Staatskanzlei. Die Minister fuhren im Dienstwagen vor, drängten sich mit Pokergesichtern durch den wartenden Journalistenpulk. „Keine Spekulation, kein Kommentar“, mehr gaben die meisten nicht von sich. Für die Journaille begann nervenzermürbendes Warten, das Pressereferat der Magdeburger Regierungszentrale tröstete mit Kaffee und Keksen.
Zur Krisensitzung war auch ein Ex-Kollege der versammelten Regierungsmannschaft aufgetaucht: Ex-Wirtschaftsminister Horst Rehberger (FDP), der bereits am Samstag das Handtuch geworfen hatte – ohne eine Spur von Schuldbewußtsein allerdings. Ihm sei vor seinem Wechsel an die Elbe das volle Westgehalt versprochen worden. Und mehr habe er auch nicht bekommen. Offenbar eine abgesprochene Verteidigungslinie. Denn das war die Rechtfertigung aller Regierungsmitglieder, die im Rahmen der Gehälteraffäre unter Beschuß geraten waren. Lediglich Sozialminister Werner Schreiber, der sichtlich angegriffen war, verlor auf seinem Weg in die Staatskanzlei einige Worte gegenüber den Journalisten. „Wir haben Fehler gemacht, und die müssen wir jetzt ausbaden.“
Nach vier Stunden dann traten Münch und sein Regierungssprecher Gerd Dietrich vor die Mikrofone. Er werde eine Erklärung verlesen, für weitere Fragen stehe er nicht zur Verfügung, verkündete Münch. Dann erklärte er nicht nur seinen eigenen Rücktritt. „Mit mir sind alle zehn anwesenden Minister aus Solidarität ebenfalls zurückgetreten“, teilte er mit. Den Ministern blieb faktisch auch gar nichts anderes übrig. Denn mit dem Rücktritt Münchs haben sie laut Landesverfassung automatisch ihre Ämter verloren.
Schuldbewußtsein zeigte auch Münch bei seinem in knappen Worten verkündeten Rücktritt nicht. Weder ihn noch einen Minister treffe irgendeine Schuld, weder er noch ein Minister hätten irgendeine unrechtmäßige Zahlung erhalten, sowohl er selbst als auch seine Minister hätten lediglich ihr im Ministergesetz vorgesehenes Gehalt erhalten. Damit offenbarte Münch noch in seinem tiefen Fall echte Unkenntnis der Gesetzeslage im eigenen Bundesland. Denn das Ministergesetz, das den Regierungsmitgliedern ein Gehalt der Besoldungsstufe B11 plus Zuschlägen in Höhe von 25 Prozent für den Regierungschef und von zehn Prozent für die Minister zubilligt, macht eine Einschränkung und verweist auf die Haushaltsgesetze des Landes. Und die besagen eindeutig, daß allen Regierungsmitgliedern, egal, ob aus Ost oder West, lediglich der aktuelle Osttarif zusteht – derzeit 80 Prozent des Gehaltes. Anstatt der 23.358 Mark, die Münch 1993 monatlich an Grundgehalt bekam, hätte er nach Überzeugung des Landesrechnungshofes lediglich 17.562,93 Mark bekommen dürfen.
Denn für Münch wie auch für seine Minister Rehberger (FDP, Wirtschaft), Hartmut Perschau (CDU, Inneres) und Werner Schreiber (CDU, Soziales) reichten ihre früheren Abgeordnetendiäten nicht aus, um in den Genuß einer Ausnahmeregelung in den Haushaltsgesetzen zu kommen. Danach konnte, wer früher ein höheres Einkommen hatte, Zuschläge bis zu 100 Prozent des Westtarifes bekommen. Münch, Perschau, Rehberger und Schreiber, so die Vorwürfe in zwei Berichten des Landesrechnungshofes, rechneten sich ihre früheren Bruttoeinkünfte als Abgeordnete unzulässig hoch, um in den Genuß dieser Zuschläge zu kommen.
Gleich nach dem Rücktritt der Landesregierung trat der CDU-Landesvorstand von Sachsen-Anhalt zu einer Krisensitzung zusammen. Ex-Landesvater Münch steht auch der Union in Sachsen-Anhalt vor und war zumindest bis gestern einziger Kandidat für die erneute Wahl des Landesvorsitzenden am kommenden Samstag. Für diesen Landesparteitag hat sich auch Bundeskanzler Helmut Kohl in Magdeburg angesagt. Es steht aber kaum zu erwarten, daß der Kanzler den Weg an die Elbe antritt, wenn Münch diese Kandidatur aufrechterhält.
Von den Koalitionsfraktionen war nach dem Rücktritt der Regierung zunächst keinerlei Stellungnahme zu erhalten. Die gerade um ihr Amt gekommenen liberalen Minister der Regierung Münch eilten in den Landtag zu einer außerordentlichen FDP-Fraktionssitzung. Die CDU-Fraktion wollte erst am Abend zusammentreffen.
In Magdeburg wird erwartet, daß die Koalition um eine schnelle Bereinigung der Regierungskrise bemüht ist. Schon zur Landtagssitzung an diesem Donnerstag, so wird allgemein angenommen, könnte die Union einen neuen Ministerpräsidenten präsentieren. Denn angesichts der auch ohne die aktuelle Affäre erschreckend schlechten Umfrageergebnisse für die Union ist kaum zu erwarten, daß die CDU jetzt den von der SPD-Opposition geforderten sauberen Schnitt mitmacht und Neuwahlen in Sachsen-Anhalt zustimmt. Zu viele Unionsabgeordnete müßten um ihren Sitz und damit um ihre Diäten bangen.
Wie schon nach dem Rücktritt der Regierung von Gerd Gies im Juli 1991 wird die Union, womöglich mit tatkräftiger Hilfe aus Bonn, darum bemüht sein, schnell wieder klare Verhältnisse zu schaffen und die Affäre um überzahlte Gehälter unter den winterlichen Schnee verschwinden zu lassen.
So einfach wollen die Sozis der Koalition die Krisenbewältigung allerdings nicht machen. „Der Rücktritt wurde höchste Zeit“, sagte Fraktionschef Reinhard Höppner (siehe Interview). „Jetzt müssen klare Verhältnisse geschaffen werden.“ Die SPD will am Donnerstag die Auflösung des Landtages und Neuwahlen innerhalb von sechs Wochen beantragen. Landesrechnungshofpräsident Horst Schröder, der mit seinen Berichten die ganze Affäre ins Rollen gebracht und damit den
Rücktritt der Landesregierung faktisch ausgelöst hat, war am Sonntag für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. Eberhard Löblich, Magdeburg
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen