: FDP leidet an Fallsucht. Geheilt?
Gestern stritten sich Fraktion und Landesvorsitzender in Sachsen-Anhalt, ob die Partei weiter an der Regierungsmacht teilhaben oder das Risiko von Neuwahlen eingehen soll ■ Aus Magdeburg Eberhard Löblich
Soviel Neuanfang soll sein: Die durch die Gehälteraffaire belasteten Minister der zurückgetretenen Landesregierung dürfen einem neuen Kabinett unter dem designierten Nachfolger Werner Münchs nicht wieder angehören, forderte die FDP-Landtagsfraktion im Magdeburger Parlament. Und machte damit deutlich, welche goldenen Brücken sie verlangt, um die christlich-liberale Koalition im Landtag von Sachsen-Anhalt unter einem Ministerpräsidenten Christoph Bergner fortzusetzen.
Bergner baute die Brücken und verzichtete auf den noch vor wenigen Tagen als für ihn nahezu unverzichtbar geltenden Sachverstand der drei Ex-Ressortchefs. Und machte damit den Liberalen unter Fraktionschef Hans-Herbert Haase das Umfallen leicht. Die FDP-Fraktion war für vorgezogenen Landtagswahlen ohnehin nicht zu begeistern. Denn der Genscher-Bonus, der der FDP in Sachsen-Anhalt bei den Landtagswahlen 1990 ein Traumergebnis von über 13 Prozent der Wählerstimmen beschert hat, ist dahin. Die meisten FDP-Abgeordneten im Magdeburger Landtag können sich an fünf Fingern ausrechnen, daß sie bei den nächsten Landtagswahlen nicht wieder ins Parlament einrücken werden.
Fraktionschef Haase und Landesvorsitzender Kunert, der bislang kein Landtagsmandat hat, waren sich aber einig darüber, daß mit Bergners Absichten, womöglich auch einen Teil der belasteten Minister wieder ins Kabinett zu berufen, die Schmerzgrenze der Liberalen überschritten sei. Hätten sie diese Entscheidung mitgetragen, wären die Liberalen auch in Sachsen-Anhalt bei den nächsten Wahlen vermutlich unter fünf Prozent und damit in die politische Bedeutungslosigkeit gefallen.
Noch ist das letzte Wort der Liberalen aber nicht gesprochen. Gestern abend trat der FDP-Landesvorstand zusammen, um über das weitere Vorgehen in der Regierungskrise zu entscheiden. Und selbst liberale Insider mochten am Nachmittag noch keine Prognose wagen, wie sich die Spitze der Landespartei entscheidet. „Jede Prognose in dieser Frage hat die Halbwertszeit einer Erdbeere“, sagte der Sprecher von FDP-Umweltminister Wolfgang Rauls, Johannes Altincioglu, gestern nachmittag gegenüber der taz. Rauls selbst und auch Parteichef Kunert forderten gestern nachmittag noch einmal – im Widerspruch zur Fraktion – vorgezogene Neuwahlen. Ein kurzer Wahlkampf sei eine „Gnade für das Land“ verglichen mit einer monatelangen Regierungsagonie bis zum Herbst 1994, meinte Kunert. Andererseits wurde aus dem Kabinett kolportiert, der Fraktionsvorsitzende Haase habe Bergner die Stimmen der FDP-Abgeordneten für eine Fortsetzung der Koalition bereits zugesichert.
Offen blieb gestern noch, was passiert, wenn sich der Landesverband entgegen der Fraktionsmehrheit für den Ausstieg aus der Koalition und vorzeitige Neuwahlen entscheidet. Der designierte CDU- Kandidat für die Münch-Nachfolge zeigte sich gestern mittag allerdings zuversichtlich. „Wir sind der FDP in ihren Bedingungen weit entgegengekommen, ich gehe davon aus, daß die Fortsetzung der Koalition jetzt gesichert ist“, sagte Bergner nach dem Koalitionsausschuß. Schließlich hatte Bergner einen Auftrag des CDU-Parteivorstandes in Bonn zu erfüllen: Fortsetzung der christlich- liberalen Koalition um nahezu jeden Preis.
Kein Wunder, denn eine Wickert-Umfrage in Sachsen-Anhalt besagt, daß die CDU, wenn jetzt Neuwahlen wären, magere zwölf Prozent der Stimmen bekommen würde. Im Vorfeld des Superwahljahres 1994 wäre ein solches Abschneiden bei einer Landtagswahl – auch vor dem besonderen Hintergrund der Gehälteraffaire – für Kanzler Kohls Bundes-CDU eine Katastrophe.
Die Mannschaft um Ex-Ministerpräsident Werner Münch versucht unterdessen, die Gehälteraffaire zu einem Ost-West-Konflikt zu stilisieren, dem der ehrenwerte Niedersachse zum Opfer gefallen sei. Zu Unrecht, denn an der Aufdeckung der Affaire war der fraktionslose Abgeordnete Jürgen Angelbeck mit zwei kleinen Anfragen im Parlament ebenso beteiligt wie der Präsident des Landesrechnungshofes, Horst Schröder. Beide sind Wessis. Zugleich überlebten zwei Wessis im Kabinett Münch, Justizminister Walter Remmers (CDU) und Bundes- und Europaminister Hans-Jürgen Kaesler (FDP), die Affaire unbeschadet weil unbelastet. Andererseits waren es Ostdeutsche wie der designierte Münch-Nachfolger Christoph Bergner, die die in die Affaire verstrickten Regierungsmitglieder noch in Schutz nahmen, als die Tatsachen längst auf dem Tisch lagen.
Die geschaßten Regierungsmitglieder müssen sich zumindest um ihre materielle Absicherung keine Sorgen machen. Für drei Monate steht ihnen das volle Amtsgehalt zu, für weitere 33 Monate die Hälfte. Und zwar ganz ohne die Einschränkungen des Osttarifs, die bei ihren Gehältern noch galt und die sie nach Überzeugung des Landesrechnungshofes mit falschen Angaben zu umgehen versuchten.
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