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„Es ist nicht nötig, bis an die Front zu gehen“

■ Vesna Janković, Vorsitzende der kroatischen „Antikriegskampagne Zagreb“ (ARK), die sich humanitär und politisch oppositionell engagiert, bezweifelt den Sinn von „Sjeme Mira“

taz: Frau Janković, wie steht Ihre Organisation, die „Antikriegskampagne Zagreb“ (ARK), zu „Sjeme Mira“?

Vesna Janković: Wir halten solche Aktionen nicht für besonders sinnvoll. Echte Friedensarbeit ist unter den gegebenen Umständen in Bosnien-Herzegowina einfach nicht möglich. Dagegen gibt es in den (relativ) ruhigen Randgebieten des Krieges wirklich viel Arbeit – und eine Menge sehr sinnvoller Projekte. Es wäre also besser, wenn Leute aus dem Ausland, die hier helfen wollen, sich dort beteiligen würden.

Ein weiteres Problem mit Aktionen wie „Sjeme Mira“ ist, daß ihre politischen Ziele nicht klar formuliert sind. Die Teilnehmer haben oft keine klare Vorstellung vom politischen Hintergrund und von der Lage in diesen Gebieten. Sie haben den Anspruch, irgendwie vermitteln zu wollen, Kommunikation anzuregen. Das ist aber viel zu allgemein, in einer konkreten Situation, konfrontiert mit konkreten Menschen, läßt sich damit nicht viel anfangen. Ich persönlich halte es im übrigen für sehr gefährlich, jetzt nach Mostar zu gehen, zumal wenn man nicht von der Unprofor geschützt wird.

Welche Aktionsformen wären Ihrer Auffassung nach sinnvoller?

In Kroatien gibt es zur Zeit zwei internationale Projekte: zum einen „Suncokret“ (Sonnenblume), in dem sie mit Flüchtlingskindern in Lagern arbeiten; zum anderen „Nexus“, ein Projekt, das sich um die Beschaffung medizinischer und anderer Ausrüstung kümmert. Die Arbeit machen internationale Freiwillige. Gerade Ausländer können den Menschen in den Flüchtlingslagern helfen, mit ihrer Situation besser fertig zu werden. Sie sind es, die dazu beitragen können, den Haß zu überwinden.

Gibt es einen Unterschied zwischen den bisherigen Friedensmärschen und „Sjeme Mira“?

Ich habe die Materialien gelesen, die die Organisatoren vorbereitet haben. Für mich sieht das alles ähnlich aus wie bei „Mir Sada“ im letzten August. Die Statements sind sehr abstrakt, weit entfernt von den Anforderungen in konkreten Situationen. Außerdem frage ich mich, wie sie in Mostar auf beiden Seiten arbeiten wollen. Seitdem die alte Brücke zerstört wurde, gibt es keinen Übergang mehr. Die Kommunikation zwischen den beiden Teilen der Stadt ist völlig zusammengebrochen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß die „Sjeme Mira“-Leute es schaffen, ihr Vorhaben umzusetzen.

Hat die ARK selbst Erfahrung mit derartigen Projekten?

Ja, wir haben vor einigen Monaten ein Projekt in der slawonischen Stadt Pakrac gestartet, wo die Situation ähnlich ist wie in Mostar. Der eine Teil der Stadt ist unter serbischer, der andere unter kroatischer Kontrolle. Dort wird schon seit einem Jahr nicht mehr geschossen, und trotzdem haben wir jede Menge Probleme. Es wird lange dauern, bis die Kommunikation zwischen den Menschen hier wieder funktioniert. In Pakrac habe ich aber auch gelernt, daß Versöhnungsarbeit möglich ist – nach dem Ende der Kämpfe. Die Leute aus dem Ausland denken oft, das sei alles so einfach.

Im Vorfeld von „Mir Sada“ ist die ARK gar nicht erst informiert worden. Hat das diesmal besser geklappt?

Die US-amerikanischen Initiatoren von „Sjeme Mira“ haben uns frühzeitig Bescheid gesagt, haben uns nach unserer Meinung gefragt. Aber trotz unserer Kritik haben sie nicht aufgegeben, sie wollen unbedingt jetzt nach Mostar gehen. Ich fürchte, daß die Amerikaner keine allzu genaue Vorstellung von dem haben, was hier abläuft.

Aber die deutschen Teilnehmer müßten die Situation doch ziemlich genau kennen...

Ja, Christine Schweitzer zum Beispiel kennt sich wirklich gut aus. Wir haben hier in Zagreb mit ihr über die ganze Sache diskutiert. Für mich kam dabei heraus, daß es eben nicht nur Kriegshelden, sondern auch Friedenshelden gibt. Ich hatte in den Gesprächen das Gefühl, daß diese Leute wirklich bereit sind zu sterben. Persönlich frage ich mich an diesem Punkt, was sinnvoller ist: in einer symbolischen Aktion sein Leben zu verlieren oder am Leben zu bleiben und langfristig zu arbeiten.

Der ARK wird aufgrund ihrer ablehnenden Haltung zu den Friedensmärschen vorgeworfen, sie überlasse das Feld den Militärs...

Unsere Politik ist es, die Regierungen Serbiens und Kroatiens zu kritisieren, Diskussionen anzuregen und zu helfen. Ich glaube nicht, daß es nötig ist, bis an die Front zu gehen, denn die wirklichen Entscheidungen werden dort ohnehin nicht getroffen.

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