: Anglo-irische Uneinigkeit
Heute haben Reynolds und Major ein „Arbeitstreffen“ / Friedensinitiative fraglich Dublin will erst britische Zugeständnisse ■ Aus Dublin Ralf Sotscheck
Berlin (taz) – Frieden in Nordirland noch vor Weihnachten – das hatte der irische Premierminister Albert Reynolds Anfang November versprochen, falls sein britischer Amtskollege John Major auf die irische Friedensinitiative eingehen würde. Inzwischen sind die Hoffnungen für die Gespräche über Nordirland stark zurückgeschraubt worden. Zwar treffen sich Reynolds und Major heute in Dublin, doch die ursprünglich als Gipfeltreffen angekündigte Sitzung ist nun lediglich ein „Arbeitstreffen“. Nicht einmal ein gemeinsames Kommuniqué zum Abschluß ist geplant.
Der Grund dafür wurde am Mittwoch deutlich: Reynolds und Major konnten sich bei mehreren Telefongesprächen nicht auf eine gemeinsame Erklärung einigen. Major fordert von der irischen Regierung ein Referendum, durch das die Artikel 2 und 3 der Verfassung, in denen die Republik Irland Anspruch auf Nordirland erhebt, geändert werden sollen. Dazu ist Reynolds jedoch nicht ohne Gegenleistung bereit, weil die Bevölkerung sonst das ablehnen würde. Er verlangt von der britischen Regierung die feste Zusage, einer Vereinigung Irlands zuzustimmen, falls die Mehrheit in Nordirland dies per Volksentscheid wünsche. Dazu ist Major jedoch im Augenblick nicht bereit, weil sich der Sturm über die geheimen Verhandlungen der britischen Regierung mit der „Irisch-Republikanischen Armee“ (IRA) noch nicht gelegt hat. Zwar haben Major und sein Nordirlandminister Patrick Mayhew vom Unterhaus die notwendige Unterstützung für die Kontakte mit der IRA erhalten, während der radikale protestantische Pfarrer Ian Paisley von den Abgeordneten mit überwältigender Mehrheit für fünf Tage aus dem Parlament verbannt wurde, weil er Major und Mayhew als „Lügner“ bezeichnet hatte, doch haben neue Dokumente schon wieder Zweifel an der Ehrlichkeit der britischen Regierung aufkommen lassen.
Sowohl die Regierung als auch die IRA veröffentlichten am Dienstag „sämtliche Papiere“ über die Gespräche, die sie seit Februar geführt haben. Die Dokumente differieren jedoch in zwei Punkten, die für die Glaubwürdigkeit beider Seiten entscheidend sind. So behauptet London, daß die IRA sich im Februar mit der „Bitte um Rat“ an die britische Regierung gewandt habe, da „der Konflikt vorbei“ sei. Die IRA-Version desselben Dokumentes liest sich anders: Die Kontaktaufnahme sei von der Major-Regierung ausgegangen, um die IRA zu einem Waffenstillstand zu bewegen. Außerdem heißt es in der britischen Fassung, daß „ein Dialog stattfinden könnte“, während in der IRA-Version die Rede von „schrittweisem Einstieg in den Dialog“ ist. Eine der beiden Fassungen muß also nachträglich gefälscht worden sein.
Selbst konservative Zeitungen in Großbritannien und Irland sind sich einig, daß die IRA die Wahrheit sagt, weil das britische Papier offenbar so schlampig gefälscht ist, daß es sich zum Teil selbst widerlegt. So heißt es in einem weiteren von der britischen Regierung veröffentlichten Dokument, daß die IRA um Klärung gebeten habe, was unter „schrittweisem Einstieg in den Dialog“ zu verstehen sei. In der vorangegangenen Korrespondenz taucht diese Formulierung in der britischen Version jedoch überhaupt nicht auf. Ein Sprecher des Nordirlandministeriums sagte dazu, man werde die Widersprüche überprüfen.
Sinn-Féin-Präsident Gerry Adams warf Major „Doppelzüngigkeit“ vor. Er sagte, die IRA habe nach der Kontaktaufnahme der britischen Regierung einen Waffenstillstand angeboten, der „von offenen und intensiven Verhandlungen begleitet“ werden sollte. Dadurch, so Adams, sollten IRA-Mitglieder und Sympathisanten zu der Überzeugung gelangen, daß Gewalt nicht mehr länger nötig sei, um ihre Ziele durchzusetzen. Er sei jedoch bereit, Majors Regierung zu vergeben und die Kontakte wieder aufzunehmen.
Eine deutliche Unterhausmehrheit hat sich für diese Kontakte ausgesprochen. Einige konservative Abgeordnete, darunter der frühere Tory-Vorsitzende Norman Tebbit, warnten jedoch, daß ein Abkommen mit der IRA eine Eskalation der Gewalt durch protestantische Terrorgruppen auslösen würde. Die verbotene „Ulster Volunteer Force“ hat auf die Enthüllung der Kontakte zwischen britischer Regierung und IRA mit der Ermordung eines katholischen Arbeiters reagiert: Sean Hagan wurde am Dienstag erschossen, als er zum Feierabend die Fabrik im protestantischen Ost-Belfast verlassen wollte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen