: Ich hab sie alle hier gehabt
■ Lothar Herborth, der ehemalige Wirt des „Kaiser Friedrich“, über eine großartige und auch grausige Epoche
38 Jahre lang wirkte er als Kohlenhändler, dann übernahm er den „Kaiser Friedrich“ im Schnoor, diese legendäre Stätte immerwährenden Pichelns und Mauschelns. Die rechte SPD-Riege errichtete hier ihren friderizianischen Exilsenat, und auch sonst waren alle schon mal dagewesen, sogar Mike Krüger. Der taz erzählte Lothar Herborth, der seit einem Jahr seine Rente verzehrt, fast alles.
Nie, nie, nie, nie wieder mach ich sowas. Dieser Größenwahn, mit 58 eine Promikneipe zu kaufen, nur weil alle schreien, du, du, du mußt das machen, du bist doch der Hansdampf, der sie alle kennt! Nee, kuck mal, diese Anstrengung, das hältste nich aus, is doch okay, wenn wir uns duzen. Aber es war schon auch großartig, denn ich hab sie alle hier gehabt, alle. Zwei dicke Gästebücher voll; ich immer mit der Polaroid drauf los, und dann mußten die zum Foto mehr oder minder geistvoll was dazuschreiben. Das is jetzt eine Bremensie ohnegleichen. Ach, was ich für Menschen kennengelernt hab! Mal hab ich ein paar Polen umsonst besoffen gemacht mit Wacholder, sowas kam vor, und dann haben die mich für eine Woche nach Polen eingeladen. War großartig. Neulich kam eine Karte aus Texas: Es grüßt dich dein Freund Bill! Ich kann mich an keinen Freund Bill mehr erinnern, du. Ist schon komisch, nich? Da siehst du zehntausend Menschen, und die zehntausend Menschen sehen nur dich, die Bezugsperson, den Wirt. Bloß die erste Zeit, die war schlimm, ich wußte ja nicht mal, wie diese Schraube da reingedreht wird ins Faß. Aber ich war unter Menschen, und das wollte ich immer. Wenn ich male, dann sind das Gesichter, oder ich mach Karikaturen, aber Landschaften nie. Im alten „Astoria“ die Typen, die hab ich oft karikiert. Den Bühnenmeister zum Beispiel, den Gabriel, Gott, das war ein grandioser Kerl mit buschigen Augenbrauen und so 'ner Nase. Mein Traum war immer, da dran zu fassen und richtig zu hupen; na gut, ich hab ihn auf einem Bierdeckel gezeichnet, und der hat nie wieder ein Brikett bei mir bestellt. So wurde ich bestraft. Oh, da gibt's schon komische Typen. Später, als ich dann selber die Kneipe hatte, kam immer einer, der hieß nur der „Wasdenn“, weil er nach jedem Satz „was denn?“ sagte. Eine Qual. Einmal hab ich wahrhaftig versucht, meine ganzen Originale an einen Tisch zu bringen. Aber da haben die sich gegenseitig fertiggemacht. Originale sind ja nur gut, wenn sie allein sind. Don Alfredo zum Beispiel, kuck mal, hier auf Foto, das isser, ein alter Kommunist, und hatte immer die Taschen voller Klunker. Wenn der mal besoffen hinfiel, mußte sofort alles die Hände auf den Tisch legen, und Alfredo krabbelte unten mit den Feuerzeug rum. Zwischendurch hat er immer mal wieder sozialistische Bücher geschrieben. Ja, mit solchen Nebensächlichkeiten hab ich mein Leben verbracht. Richtig unangenehm waren nur diese gelackten Kerle, die sich weiß Gott was einbildeten. „Wissen Sie nicht, wen Sie vor sich haben“, schrie mal einer rum, „ich hab hundert Leute unter mir!“ - „Was?“ sag ich, „Sie sind Totengräber oder was?“ Nee, aber sonst, diese Bremer Politiker, über die könnt ich nichts Schlechtes sagen. Das erste, was ich mir dachte, als ich die alle kennenlernte, das war: „Mensch, so einfach ist das also!“ Nee, eine hohe Meinung von der Politik hab ich nicht mehr. Ich hab das ja alles mitgekriegt. Was? Geheimnisträger? Kannste wohl sagen. Aber erzählen tu ich da nix. Das ist eine Frage des Formats, ob man was für sich behalten kann. Als Wirt kriegt man ja sowieso jede Menge gebeichtet, wenn die Leute wieder mal so richtig leutselig geworden sind. Allerdings: Wenn die Damen leutseliger gewesen wären, und die alten Daddies hätten ihren Kram für sich behalten, das wär mir lieber gewesen. Da hab ich nicht so viel Erfolg in dem Sinne gehabt. Und so bin ich nicht verheiratet am Ende. Aber is kein Prinzip. Kein Prinzip. Meine Mutter war lange krank und so. Mit 19 war ich zurück aus dem Krieg, da hab ich meine erste Bekanntschaft gemacht. Ich hab ihr 'n Ring geschenkt, dafür hab ich mei'm Alten zehn Zentner Koks geklaut. Aber die hat mich mit'm Ami betrogen und ist ab nach Amerika, und ich hab fürchterlich geheult. Nach 42 Jahren hab ich sie wiedergesehen und war naiv genug zu glauben, sowas könnte man einfach fortsetzen. Aber den Ring, den hatte sie noch. Nee, ich war immer so ein Kneipengänger, ich brauchte nie eine große Wohnung. Und wenn ich die alten Ehen um mich rum seh: alles kaputt. Ich hab immer die Freundschaften gesucht, hab mich im alten „Astoria“ rumgetrieben und die halbe Welt kennengelernt, seltsame Typen drunter, die Conférenciers zum Beispiel: auffällig viele Egozentriker, bei denen konntest du nie zu Wort kommen, nicht sehr glückliche Leute. Dieser Rolf Wolle, der macht da ja jetzt einen Dokumentarfilm drüber, das wird eine große Sache. Das „Astoria“, das war ja eine bremische Institution. Alle sind da aufgetreten, Emil Jannings, Marikka Röck, Heinrich George, und bei Zarah Leander, da stand wirklich Bremen kopf. Oder Ballett aus Kopenhagen, erstmals oben ohne. Eine große Zeit. Heut noch treffen sich jedes Jahr am Buß- und Bettag die alten Astorianer im „Kaiser Friedrich“, die Barfrauen, die alten Kellner, die Nummerngirls. Von zweien weiß ich noch, die eine hat hier eine Kneipe aufgemacht, das „Queens Pub“, und die andere ist ab nach Amerika, und weißte, da is einer, der fragt heut noch nach ihr. Damals hat die auch manchmal im „Arizona“ gearbeitet, was ein toller Nachtclub war, und auch mal zusammen mit Udo Jürgens. Der hatte da für fünfzig, sechzig Mark seine ersten Auftritte gehabt. Gott, das war damals schon so ein blasierter Kerl, den konntste mit 'ner zehn Meter langen Stange nicht am Arsch kitzeln. Ja, meine Kohlenhändlerzeit, das war ja auch 'ne wilde Zeit. Bei „Küppers“ warn wir oft, da hatten wir die weltberühmte Küppers'sche Reiterstaffel, dreizehn Mann. Die haben sich dermaßen die Körner reingeholt, daß sie bald das Wasser nicht mehr halten konnten. Das gab dann innen an die Hosenbeine diesen dunklen Einsatz wie bei 'ner Reithose. Bis die dann draufkamen, wie der Name gemeint war. Und denn die großen Kriegshelden, wo wir uns immer wunderten, daß wir den Krieg nicht gewonnen haben mit solchen Kanonen. Und dann sind die tatsächlich immer nach Hause gerannt, die Böcke, und haben ihre Auszeichnungen geholt. Beim Skat hockten da immer drei, das warn Karl, Emil und Uli. Uli war ein Nazi, Karl ein alter Kommißkopp und Emil ein Sozi. Um zwölf, wenn sie dann endlich besoffen waren, da sagte dann der Sozi zum Kommißkopp: „Kaahl, du biß'n Aaschloch!“ Und am nächsten Abend, da kloppten sie wieder. Das warn vielleicht Typen, so ein Panoptikum, so eine Geisterbahn, da könnt ich auch ein Buch drüber schreiben. Heut gibt's solche Kneipen kaum noch, oder doch, diese beiden Verrückten da, die das „Oblomow“ machen, mit denen war ich ja sogar neulich in New York, da wollten die downtown so eine historisch-kommunistische Kneipe aufmachen, und wo immer wir aufgetaucht sind, ham sie uns bewirtet wie nur was, weil jeder dachte, wir wollten seinen Laden kaufen. Mal schaun, was draus wird, aber ich selber, nee, ich mach da nix mehr, nee, nee, nee. Nie. Nie mehr. Nie. Aber kuck mal, hier die Fotos, haste noch Zeit? Ja? Ich ja sowieso jetzt. Da, da is Herr Müller, Kellner im Astoria, der ist zur Zeit tot. Oder hier, die alte Frau Fritz, die Frau vom alten Astoria-Chef, heute zweiundachtzig. Und Tommy, der schwedische Kapitän, der an jedem Ort der Welt auf gut Glück in die Kneipe ging, die der katholischen Kirche am nächsten lag. Das hat einfach immer hingehauen, sagte er. So kam er auch zu mir und hockte dann wochenlang jeden Tag am selben Platz. So ein Herzchen, und immer wenn er blau war, wollte er unbedingt jemanden verprügeln. Ja, die Schweden, sobald sie Alkohol kriegen, rasten sie aus. Da is Don Alfredo noch mal. Ach, und Dui Nui. Dui Nui, das ist ein alter Kneipier, mit dem war ich '72 in Bangkok, mit'm Kegelverein, da haben die Mädchen ihn Dui Nui genannt: das heißt „der Dicke, Fette“. Und hier Heini der Geldgierige. Kam immer rein und wollte singen für Kohle. Dann...mal schaun, der is tot, der is tot, der is tot. Und der hier hat sich einen Klaps geholt, der kennt keinen mehr. Nee, aber für mich hat der Tod keinen Schrecken, ehrlich.
aufgeschrieben von Manfred Dworschak
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