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Wohnungslosigkeit nimmt rapide zu

Wohlfahrtsverbände fordern eine „kontinuierliche Armutsberichterstattung“ / Die Stelle einer Obdachlosenärztin ist für 1994 nicht gesichert / Über 500 Patienten sind betroffen  ■ Von Corinna Raupach

Steigende Mieten, Arbeitslosigkeit und Restitutionsansprüche trieben im vergangenen Jahr im Ostteil der Stadt immer mehr Menschen auf die Straße. Allein 2.000 sind derzeit von Sozialämtern in Pensionen oder Hotels untergebracht. Doch die Zahl derjenigen, die auf der Straße leben, auf Dachböden oder in Müllräumen unterkommen, sei mindestens doppelt so hoch, erklärten gestern Sprecher von Diakonischem Werk und Caritas-Verband auf ihrer jährlichen Pressekonferenz. Da die Wohnungsbaugesellschaften und Amtsgerichte mittlerweile organisatorisch in der Lage seien, Kündigungs- und Räumungsverfahren einzuleiten, rechnen sie in den kommenden Jahren mit wesentlich höheren Zahlen.

Auch im Westteil nahm die Wohnungsnot rapide zu. Unter ihnen wird der Anteil von Frauen und Kindern immer größer. Neben gestiegenen Mieten und der weggefallenen Mietpreisbindung seien vor allem Einkommensverluste, Mietschulden und fehlende Hilfsangebote für Frauen die Gründe dafür, sagte Barbara Aßmann, Abteilungsleiterin im Diakonischen Werk (DW). „Wir gehen in den westlichen Bezirken von 25.000 Wohnungslosen aus, von denen etwa 6.000 ständig auf der Straße leben“, sagte Aßmann. Vor einem Jahr seien es noch etwa 5.000 weniger gewesen. Bislang gibt es über das Ausmaß der Wohnungslosigkeit keine gesicherten Zahlen.

Die offiziellen Zahlen des Senats – etwa 12.000 – beziehen sich lediglich auf die bei den Sozialämtern gemeldeten Wohnungslosen. „Viele haben aber die Kraft nicht mehr für die Ämterprozedur“, sagt Karlheinz Kramer, Mitarbeiter der Beratungsstelle für Wohnungslose in der Levetzowstraße. Die Wohlfahrtsverbände fordern daher eine kontinuierliche Armutsberichterstattung, um realistisches Datenmaterial für die Arbeit von Politik und Verbänden zu erstellen.

Auch für die medizinische Versorgung müsse Sorge getragen werden. Gerade im Winter leiden viele Obdachlose an Erkältungskrankheiten und Grippe, aus denen verschleppt leicht eine Lungenentzündung wird. Doch die Finanzierung der Ärztin, die die Caritas für die Versorgung Obdachloser eingestellt hat, ist für 1994 nicht sichergestellt.

„Trotz Versprechungen vom Senat, der die halbe Stelle im letzten Jahr mit einem Zuschuß gefördert hat, haben wir keine feste Zusage“, sagt Caritas-Referatsleiter Andreas Riesterer. Jetzt versuche er, über kirchliche Mittel die weitere Versorgung der über 500 Patienten sicherzustellen. Auch müßten Kranken- und Pflegebetten in Krankenhäusern bereitgestellt werden.

„Unsere erste und oberste Forderung ist immer, daß genügend Wohnraum geschaffen wird“, sagte Rainer Krebs, Fachbereichsleiter beim DW. Doch zumindest müsse es möglich sein, jedem Menschen ein Bett und ein Dach über dem Kopf zu vermitteln. So sollten die Notübernachtungen der Winterhilfe auch im Sommer geöffnet bleiben.

Neue Wohnprojekte sowie geschützte Arbeitsplätze sollten eingerichtet werden, um Menschen, die lange Zeit Platte gemacht haben, wieder an ein geregeltes Leben und Arbeiten zu gewöhnen. In den Sozialämtern müsse es Stellen geben, die spezielle Schuldnerberatung für von Wohnungslosigkeit Bedrohte anbieten.

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