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Frühe Schlachten

■ Ein Erzählband von Claudia Pütz

Während die großen Verlage immer größer werden, indem sie sich die kleinen einverleiben, gedeiht jenseits dieses Verdrängungswettbewerbs ein Unkraut, das ob seiner Fruchtbarkeit unaustilgbar scheint: der Kleinstverlag. Und weil auf dieser Ebene, immer hart an der kapitalistischen Grasnarbe, ohnehin kein Profit zu machen ist, kann man hier so rücksichtslos schöne Bücher machen wie zum Beispiel Hendrik Liersch und seine Berliner Corvinus Presse. Der Ein-Mann-Verlag blickt mittlerweile auf ein gutes Dutzend bibliophil gestalteter Bände zurück, die mit jeweils zehn bis zwanzig Mark vergleichsweise unterbezahlt wirken.

In massiven Pappdeckeln, mit edel-schlichtem Layout versehen und ergänzt durch Illustrationen der Zeichnerin Bärbel Busch, hat Liersch nun einen Prosaband der Bonner Autorin Claudia Pütz ediert. „Moderne Gladiatoren“ ist, nach „Morphinblaue Engel“ (erschienen 1988 im pleite gegangenen Verlag am Galgenberg) und drei Veröffentlichungen im Kölner Krash-Verlag, das fünfte Buch der 35jährigen. Darüber hinaus zeichnet sie als Herausgeberin des „postdadaistischen“ Periodikums „PIPS. Zeitschrift für UnZeitgeist & UnKomMerz“ verantwortlich.

In „Morphinblaue Engel“ hatte Pütz noch eine Triangel um Liebe, Unterdrückung und Gewalt aufgebaut, in der sich Liebes- und Trennungsqual der ProtagonistInnen in surreale, märchenhafte Welten flüchten. Auf dieser Linie liegt im neuen Band nur noch die titelgebende Geschichte, die Inszenierung eines sadomasochistischen Geschlechtsaktes mit weiblicher Dominanz, der, nach einer teilnahmslosen Schilderung des derb- brutalen Vorgangs, in eine träumerische Beschwörung der „wahren“ Liebe mündet. Der Flucht ins Reich der Phantasie steht diesmal jene in das der Kindheit, der Unschuld gegenüber. Denn bei den übrigen „Modernen Gladiatoren“ handelt es sich ausschließlich um Kinder und Heranwachsende, ihre Arena ist der dörfliche Bolzplatz, der Beichtstuhl oder das heimische Kinderzimmer. Hier werden die frühen Schlachten des Lebens ausgetragen, gegen die Eltern, gegen konkurrierende Banden und jene, die zur Eroberung des eigenen und des ersten fremden Körpers führen. Graziella überzeugt Pepino von der Ebenbürtigkeit eines Busens neben einem entblößten Knöchel und Loretta erklärt ihrer Freundin, bevor sie ihre erste Liebhaberin wird, daß sie sich „einen Dreck (...) um das Idealmaß der modernen Frau“ schere. Pütz' Frauenfiguren gleichen jener Lilith aus der hebräischen Mythologie, der ersten Frau Adams, die sich weigerte, beim Beischlaf unten zu liegen, auch wenn sie dafür mit der Vertreibung aus dem Paradies bestraft wurde. „Entscheidend ist, sagte Loretta, daß du über 171 cm Land verfügst, – das bedeutet: Berge und Täler, Ozeane, Dschungel und Tiere, Wälder, Seen und die eine oder andere Wiese.“

Die Melancholie, die sich mit vergangenen Kindheitstagen verbindet, wird hier nicht rührselig herbeizitiert. Pütz' schnörkellose Sprache und detaillierte Erinnerungssegmente transportieren kindliche Neugier, Überraschung und Entdeckerfreude mit federnder Leichtigkeit. Und wenn man dieses Buch zugeklappt hat, verdient es eine exponierte Stellung im Regal. Bernd Imgrund

Claudia Pütz: „Moderne Gladiatoren“. Mit Illustrationen von Bärbel Busch. Berlin, Corvinus Presse 1993, 20 DM

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