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Permanente Zwischenlösung

Zur Entwicklung des Muttersprachlichen Unterrichts  ■ Von Pablo Diaz

Seit mehr als zwanzig Jahren existiert in der Bundesrepublik für Schüler aus den ehemaligen Anwerbestaaten ein besonderer Unterricht: der „Muttersprachliche Unterricht“, kurz MSU genannt. Anwerbestaaten, das sind insbesondere jene Länder, mit denen die Bundesrepublik Abkommen zur Überlassung von Arbeitskräften Anfang der sechziger Jahre ratifiziert hatte. Also Italien, Spanien, Portugal, Griechenland, Türkei, Marokko und das ehemalige Jugoslawien.

Die Menge der Vorwürfe gegen diesen Unterricht lesen sich wie die Auflistung des Negativen schlechthin: der MSU stigmatisiere ausländische Kinder, weil er eben nur für Ausländer gelte; er diskriminiere, weil in diesem Unterricht nur die offiziellen Amtssprachen der Heimatländer beigebracht würden; er verstärke die Isolierung ausländischer Kinder. Von deutscher Behördenseite war oft der Vorwurf zu hören, im MSU würden die Kinder mit nationalistischen Parolen der Heimatstaaten indoktriniert. Da der muttersprachliche Unterricht meistens am nachmittag standfindet und fand begegnten sich deutsche Lehrer und ausländische Kollegen kaum, so fand auch kein Austausch statt. Die deutschen Lehrer begegneten den türkischen oder griechischen Kollegen oft mit Mißtrauen. Sie zweifelten an den pädagogischen Methoden, die da angewendet wurden und auf die man keinen direkten Einfluß hatte. Die ausländischen Lehrer fühlten sich dagegen oft alleingelassen und sahen sich einem bürokratischen Apparat gegenüber, der sie nicht verstand und sie auch nicht in sein pädagogisches Konzept einbezog. Alleingelassen auch von den Kultusbehörden der Heimatländer, die in ihnen nur willfährige Instrumente zur Kontrolle und Einschüchterung der eigenen Landsleute sahen (und bei manchen Staaten auch heute noch sehen).

Ohnehin galt der Status des Muttersprach-Lehrers in (Eltern- )Augen nur als Synonym für Abkassieren. Viele der ausländischen Pädagogen nämlich erhielten neben dem Lohn aus dem Heimatstaat auch noch ein Entgelt von deutscher Seite. „Damit haben sie uns häufig gespalten, einen Keil zwischen Lehrer und Eltern getrieben. Dadurch haben wir es oft versäumt, wie ein Mann für diese oder jene Verbesserung des MSU einzustehen.“ Wer das sagt, weiß, wovon er spricht. Es ist Ceferino Valera, ehemaliger Bundesvorsitzender der Spanischen Elternvereine in der Bundesrepublik. „Aber mit dem spanischen MSU ist es nicht mehr so wie früher“, bemerkt Antonio Beltran. Er ist Mitte dreißig, in der Bundesrepublik aufgewachsen und auf dem Computersektor tätig. Seit vier Jahren leitet er den Bundesverband spanischer Elternvereine. Ein symptomatischer Wechsel, der auch auf die Veränderung des MSU in den letzten zehn Jahren verweist. In Hessen beispielsweise ist dieser Pflichtunterricht für die ausländischen Schüler. Soweit wie möglich wird er in der Regelschulzeit durchgeführt, also vormittags. Zunehmend wird er von Kindern besucht, die in der Bundesrepublik geboren sind und hier ihre ersten Lebensjahre verbracht haben. Bei Spaniern und Portugiesen beispielsweise kommt aber noch hinzu, daß die Zahl der Schüler ständig abnimmt. Kamen früher zwölf ausländische Schüler zusammen, wurde ihnen ein Lehrer für Muttersprache zugewiesen. Mittlerweile ist diese Zahl auf acht bzw. zehn Schüler, je nach Bundesland, reduziert worden. Auch die Zusammensetzung der Schüler hat sich weitgehend verändert. Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre waren es ausländische Schüler, die einen Teil ihrer Sozialisation im Heimatland durchlebt hatten. Mittlerweile sind es fast ausschließlich Kinder, die in der Bundesrepublik aufgewachsen sind und häufig auch noch aus gemischtnationalen Ehen stammen. In Nordrhein-Westfalen und in Hessen sind deswegen Anfang der achtziger Jahre neue Unterrichtsmaterialien ausgearbeitet worden, die die alten Bücher aus den Heimatländern abgelöst haben. Diese neuen Bücher wurden in Zusammenarbeit mit den Kultusbehörden der Heimatländer, mit Pädagogen aus der MSU-Praxis und Vertretern der deutschen Kultusministerien ausgearbeitet. Die wichtigste Änderung gegenüber früheren Lehrwerken: Ihre Inhalte beziehen die Lebenswelt der Kinder und ihre Erfahrungen in der Bundesrepublik mit ein.

Die Abnahme bestimmter Schülergruppen aus dieser oder jener Nationalität ist jedoch nicht das einzige Problem der MSU in der gegenwärtigen Zeit. Es wirkt fast archaisch, daß sich der MSU lediglich auf die Muttersprachen aus den ehemaligen Anwerbestaaten bezieht, obwohl die Migrationsentwicklung in den letzten zwanzig Jahren in der Bundesrepublik eine Realität geschaffen hat, die viel multilingualer ist. Versuche, auch andere Muttersprachen einzubeziehen, sind sehr zaghaft, denn das bedeutet auch, sich auf außenpolitisches Glatteis zu begeben. Das gilt insbesondere für jene Muttersprachen, die in den Heimatländern selbst nicht offiziell gefördert oder gar jahrelang nur hinter verschlossenen Türen gesprochen werden konnten. Um so bemerkenswerter sind dann jene Projekte, die sich über diese Umstände hinwegsetzen. In Bremen z.B. ist Kurdisch Teil des Muttersprachlichen Unterrichts. In Hessen wiederum wird Kurdisch nur in Privatinitiative angeboten, ebenso wie Koreanisch oder Persisch. „Es kann natürlich nicht angehen, daß wir für jede Sprachgruppe ein muttersprachliches Angebot offerieren“, sagt Hessens Kultusminister Hartmut Holzapfel lakonisch. „Überlegungen zu einer Neustrukturierung dieses Unterrichts müssen von der Tatsache ausgehen, daß die ausländischen Schüler zweisprachig aufwachsen und wir uns überlegen müssen, wie diese Zweisprachigkeit in der Schule fruchtbarer gemacht werden kann. Beispielsweise durch Öffnung dieses Unterrichts für andere, für deutsche Schüler.“ Diese Neustrukturierung, auf die der hessische Kultusminister abzielt, heißt in der Praxis, daß Türkisch oder Spanisch als erste oder zweite Fremdsprache anstatt Englisch oder Französisch angeboten wird. Erfahrungen hierzu werden schon in anderen Bundesländern gesammelt, zum Beispiel in Nordrhein- Westfalen. In Hessen wird man ab dem kommenden Schuljahr 94/95 damit anfangen.

Die Muttersprache als Fremdsprache in den Regelunterricht einzuführen heißt jedoch nicht, daß der MSU abgeschafft werden soll. Unisono werden solche Ideen sowohl von seiten der Kultusminister als auch von seiten der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft abgelehnt. Denn der Muttersprachliche Unterricht ist mehr als nur „Fremdsprachen“-Unterricht. „Er ist Teil der Identität der Kinder“, sagt der MSU-Lehrer J.A. Mantecon. „Für die Kinder ist es sehr wichtig, mit anderen Kindern zusammenzukommen, die ähnliche Lebenserfahrungen mitbringen. Das begünstigt ihre Identitätsentwicklung.“

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