: Viel Willen und tausend Konflikte
Kurz vor Ablauf der Verhandlungsfrist für das Gatt wird an vielen Stellen gepokert / Experten bezweifeln Einigung bis Mittwoch ■ Aus Genf Andreas Zumach
An diesem Wochenende dürfte sich das Schicksal der inzwischen über siebenjährigen Uruguay-Verhandlungsrunde des Gatt endgültig entscheiden. Der Generaldirektor des „Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens“, Peter Sutherland hat die Frist für die Fertigstellung sämtlicher Kapitel des rund 450seitigen Vertragswerkes über eine Liberalisierung des Welthandels inzwischen auf Sonntag gegen Mitternacht festgesetzt. Das Paket soll so noch vor dem 15. Dezember in den Hauptstädten der 116 Gatt-Staaten abgesegnet werden können.
Angesichts zahlreicher noch offener Fragen wurde gestern in Genf aber eher damit gerechnet, daß ein Abkommen zumindest in dem jetzt vorgegebenen Zeitrahmen nicht mehr zustande kommt. Aus Kreisen der US-Unterhändler verlautete, daß Clinton am Abend des 15. Dezember, an dem sein Verhandlungsmandat ausläuft, dem US-Kongreß seine Absicht zur Unterzeichnung eines Gatt- Abkommens mitteilen werden – auch wenn dieses dann noch nicht vollständig fertiggestellt sein sollte.
Heute morgen werden in Genf die Gatt-Chefunterhändler der USA, Mickey Kantor, und der EU, Außenhandelskommissar Leon Brittan, erwartet. Letzterer hat möglicherweise neue Verhandlungsvorgaben der EU-Regierungschefs mit. Paris verlangt immer noch Kompensationszahlungen für die französischen Bauern, die das EU-Budget um jährlich rund 3,5 Milliarden Ecu belasten würden; eine Garantie, daß französische Bauern infolge eines Gatt- Abkommens keine Anbauflächen stillegen müssen; und schließlich schärfere Sanktionsinstrumente der EU gegen Dumpingimporte aus anderen Staaten.
Nachbesserungen des bisherigen Vertragsentwurfs zum Textilkapitel eines Abkommens hatten in den vergangenen Tagen Spanien, Italien und Portugal verlangt. Jeder der Unterhändler in Genf ist sich bewußt, daß auch an diesen Nachforderungen die für nächsten Dienstag vorgesehene engültige Absegnung eines Gatt-Abkommens durch die EU-Außenminister und die französische Nationalversammlung noch scheitern könnte.
Neuen Ärger zwischen Washington und Brüssel gibt es im Bereich der Schiffahrt. Nach Detailerläuterungen durch Washingtons Genfer Gatt-Delegation stellte die EU-Unterhändler fest, daß der am letzten Dienstag in Brüssel zwischen Kantor und Brittan vereinbarte Kompromiß doch sehr viel weniger Konzessionen der USA enthält als zunächst angenommen. Die EU fordert nun ein verbessertes Angebot der USA. Sehr viel näher gekommen sind sich die Unterhändler der beiden Wirtschaftsblöcke in den letzten Tagen hingegen beim Bereich Film/Fernsehen/ Video. Gemeinsam wollen EU und USA außerdem Tokios Außenminister Tsutomu Hata zu einer stärkeren Öffnung des japanischen Finanzdienstleistungsmarktes drängen. Hata muß in Genf zudem das Angebot seiner Regierung zur Öffnung des Reismarktes vorlegen, über das das Kabinett in Tokio erst heute mittag entscheiden will.
Washington beharrt weiterhin auf das Sonderrecht, Niederlassungen ausländischer Unternehmen jederzeit mit Sondersteuern belegen zu können, sowie auf weitgehende Anti-Dumpingmaßnahmen. Mit beiden Forderungen stehen die USA allein gegen die anderen 115 Gatt-Staaten. Im Gegenzug drohte Brasilien inzwischen, seine bisherigen Angebote zum Abbau von Importbarrieren wieder zurückzuziehen. Zweifel an einer Fertigstellung des Abkommens schürte schließlich die EU mit ihrer Mitteilung, die Erstellung aller Listen mit den künftigen Zöllen für sämtliche Produkte des internationalen Handels sei bis zum 15. Dezember unter keinen Umständen möglich.
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