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Halunkensalut

■ Eine Geburtstagssendung für den 80jährigen Schlager- und Spelunkendichter Fritz Grasshoff, der u.a. in Bremerhaven wirkte

„Will er nicht mit mir reden?“ fragt sich Theo Schlüter von Radio Bremen. Er steht am Abend des 9. Dezember im Schiffahrts-Museum und versucht telefonisch ein 80- jähriges Geburtstagskind zu erreichen. Fritz Grasshoff heißt der Jubilar. Er ist vor 10 Jahren nach Kanada ausgewandert, wo er am Rand des Städtchens Hudson am Ottawa- River lebt. „Schicken Sie ein Fax oder was? Ist das ein Fax?“ Eine überraschte Frauenstimme meldet sich vom anderen Kontinent. Frau Grasshoff? Endlich kommt die Leitung zustande. „Bei uns scheint noch die Sonne“, sagt das Geburtstagskind und fragt: „Wollen Sie einen Spruch von mir hören? Dann muß ich nicht so viel Murks von mir geben.“ Natürlich wollen wir. Und das ist der Spruch: „Die Kunst ist eine Insel/der mit Robinson vergleichbar/fernab von allen Routen/ und nur per Schiffbruch erreichbar.“ Ein echter Grasshoff. Großer Beifall. Der Mann ist sich treu geblieben. Aber warum gerade in Bremerhaven eine vom Rundfunk mitgeschnittene Geburtstags-Lesung?

Weil Grasshoff, Dichter der „Halunkenpostille“, der drastischen Seemannslieder, Erfinder des stets umnebelten erzchristlichen Steuermanns Ole Pinelle, vor 15 Jahren leibhaftig in Bremerhaven gewesen war. Und weil sich danach einige begeisterte Hörer – die zudem auch noch im Magistrat saßen – sagten, diese liederlichen Lieder müssen wir vertreiben. Auf Platte. Im Auftrag und im Dienst der Seestadt-Werbung. Mit einem ansprechenden Cover. Auf dem ist natürlich eine Grafik des Malers und Zeichners Grasshoff zu sehen. Und was für eine: Eine von oben bis zu den Knien entblößte Dame sitzt bei einem grün befrackten Mann in der Kajüte. Das Corpus delicti ist zur Zeit im Schiffahrts-Museum hinter Glas zu bewundern. Jedenfalls lag sie warm. Und weil sie so öffentlich in den Schaufenstern der Stadt lag, gab es Frauen, – so erinnert sich der OB – „bewußte, emanzipierte Damen“, bei denen diese Handreichung Anstoß erregte. Willms weiter: „Wir haben uns allerdings nichts dabei gedacht.“ Als sexistisch würde er das Cover keinesfalls ansehen.

Die reizende Grafik – daran erinnert sich das Geburtstagskind per Telefon über den Atlantischen Ozean, ist im Original allerdings winzig klein, nicht größer als eine Briefmarke. Wer sie für das Plattencover („liederliche Lieder“) derart aufblies, daß jeder Witz verlorenging, spekulierte womöglich auf verkaufsfördernde Lüste.

Grasshoff, der humorige Satiriker, der mit menschlichen Winden, Fürzen und Lüsten freizügig umgeht, wird darüber lächeln. Die drei Gratulanten im Schiffahrts-Museum (Alfons Bock, Bandonion, Georg Eyring, Grasshoff-Experte und Oskar Anull, Grasshoff-Leser, Rezitator und Lyriker) haben ihm einen (Rundfunk-)Zusammenschnitt seiner leichten und auch tieferen Texte geschenkt, mit dem der Künstler Grasshoff vor dem falschen Verdacht, er sei nichts als ein vergessener und verblasster Schlager- und Spelunkenschreiber (“Käpt– n Bye Bye“) gründlich gerettet wird. In seinen eigenen Worten: „Die Zeit ist wie ein Zeppelin, gefüllt mit schlechten Gasen und mächtig aufgeblasen.“

Hans Happel

Die Rettungsaktion zum 80. Geburtstag kann am Sonntag, den 2. Januar 1994, um 17 Uhr auf Radio Bremen 1 empfangen werden.

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