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„Da hilft keine Lichterkette“

■ Kreuzberger wehren sich gegen Terror von links

Berlin (taz) – Als Roland Sauter vom Verein SO 36 unter den Gewerbetreibenden im Berliner Bezirk Kreuzberg Plakate für eine Stadtteilveranstaltung verteilen wollte, mußte er feststellen, daß sich ein Teil der Angesprochenen „nicht traut, Ankündigungen für diese Veranstaltung auszuhängen“. Die Verunsicherung sitzt tief seit der jüngsten Anschlagsserie selbsternannter Klassenkämpfer, die sich „Klasse gegen Klasse“ nennen. Mitte Oktober verwüsteten die Desperados mit einer Handgranate die Kreuzberger Gaststätte „Auerbach“ – nur drei Tage später wurde ein Sprengsatz als „Warnung“ an der Fensterfront des italienischen Feinkostgeschäftes „Alimentari & Vini“ gezündet. In einem Schreiben wurden die Besitzer des Geschäftes aufgefordert, bis zum 31. Januar Kreuzberg zu verlassen.

Einen vorläufigen Höhepunkt erreichte die Anschlagsserie Mitte November. Zwei Sprengsätze detonierten im Stadtteil Zehlendorf. Sie richteten sich unter anderem gegen das Haus des Kreuzberger Stadtplanungsamtsleiters Rudolf Hellmann. „Klasse gegen Klasse“ bekannte sich: „Stadtplaner, Architekten und Spekulanten, ihr seid in euren Häusern im Grunewald nicht sicher“. In dem einseitigen Bekennerschreiben wurde auch eine alte Drohung erneuert: „An dieser Stelle wollen wir noch einmal eindringlich auf unser Schreiben an Bewohner solcher Luxusdachgeschoßbewohner vom Juni hinweisen: Verschwindet!“ Die Losung, die den ausgerufenen proletarischen Kreuzzug seit rund eineinhalb Jahren begleitet: „Yuppiepack, rechte Parasiten, Karrieristen, haut ab! Hier ist proletarisches Terrain. Der Krieg Klasse gegen Klasse kommt bald in eine Straße auch in deiner Nähe“.

Montag abend im Mehrzweckraum der Kiezschule in Kreuzberg. Weit über hundert Kreuzberger, darunter viele Bedrohte, haben sich auf Einladung des Vereins SO 36 versammelt, um über Strategien gegen „Klasse gegen Klasse“ zu beraten. Mit den jüngsten Anschlägen, erklärt Roland Sauter, sei jetzt eine „Ebene reingekommen, wo man nicht mehr schweigen kann“. Inhalte und Form der Attentate werden nicht diskutiert, stellvertretend für die Anwesenden formuliert ein Besucher: „faschistische Methoden, gegen die keine Lichterkette hilft“. Eine Ladenbesitzerin erklärt, sie würde sich nicht scheuen, „mit den gleichen Mitteln zurückzuschlagen“.

Der Einwand eines Mannes: „Aber gegen wen denn?“ wirft ein Schlaglicht auf das Dilemma. Spekulationen kursieren zwar zu hauf – wer tatsächlich aber hinter „Klasse gegen Klasse“ steckt, das weiß keiner. Telefonketten und öffentlicher Protest gegen den „proletarischen“ Terror werden wie selbstverständlich verabredet, zufriedenstellend für die Betroffenen kann es nicht sein. Die Betreiberin des „Auerbach“-Restaurants: „Wer hilft mir weiter, wenn ich eine Handgranate in meinen Laden geworfen bekomme?“ Sie hätte sich wenigstens eine finazielle Hilfe durch den Berliner Senat gewünscht.

Nach den jüngsten Anschlägen hat der Regierende Bürgermeister die Ermittlungen gegen „Klasse gegen Klasse“ zur Chefsache erklärt. Die Verfasungsschützer bieten seither alles auf, was ihnen an nachrichtendienstlichen Mitteln zur Verfügung steht. Man sei „dicht ran“, heißt es im Kreis der Schlapphüte. Im der Berliner Verfassungsschutzbehörde wird davon ausgegangen, daß es sich bei den Attentätern um eine kleine Gruppe „im Dunstkeis der autonomen Kommunisten“ handelt. Sprachanalysen der Erklärungen von „Klasse gegen Klasse“ hätten einen in der autonomen Szene untypischen Wortgebrauch ergeben. Potentielle Mitglieder der Gruppe, heißt es weiter, hätten auch in Großbritannien an einem Kongreß zum Thema „class war“ teilgenommen. Zu diesem Ergebnis sei ein „befreundeter Dienst“ gekommen. Die mehrfach publizierte Vermutung, die Behörden würden die Hände in den Schoß legen, um einen möglichen V-Mann unter den Aktivisten zu schützen, weisen Mitarbeiter des Landesamtes aber zurück. Wolfgang Gast

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