Durchs Dröhnland
: Karrieren, Karrieren

■ Die besten und schlechtesten, die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der kommenden Woche

Abteilung „Karriereknick“: Während einige Bands aus einem Underground-Zusammenhang – allen voran Nirvana – das Verschieben des Rockformats nutzen konnten, gingen Girls Against Boys den Weg der Anpassung – jedenfalls zum Schein. Der Drang dazu wurde allerdings aus dem Gefühl geboren, im eigenen Ghetto nicht mehr heimisch zu sein. Das Ghetto hieß Hardcore, im speziellen die rührige Szene in Washington, D.C., wo die Päpste Fugazi unbestritten zwar ein respektverdienendes Modell aufgebaut hatten, aber halt auch in einer gewissen Lahmarschigkeit des Erreichten – und das meint nicht nur straight edge – erstarrt waren. Girls Against Boys entstanden als Studioprojekt. Das Rückgrat bildeten Musiker von Soulside, einer über die Grenzen von Washington hinaus respektierten HC- Band. Dazu kamen zeitweise Ex- Mitglieder von Fugazi oder Edsel Auctioneer, oder auch ein Mann wie Eli Janney, der der halben Washingtoner Szene als Ton-Ingenieur diente. Die geballte Erfahrung und Kompetenz machten Girls Against Boys zwar nicht zu einer siebzigermäßigen Supergroup, aber gab ihnen doch die Souveränität, weit über das hinauszugehen, was der Hardcore an Ausdrucksmöglichkeiten bot. Die Spex witterte da gleich einen Versuch, Adult Oriented Rock für in Ehren ergraute Punksozialisierte zu schaffen. Das trifft allerdings nur so weit zu, als daß die eine Erweiterung des Klangspektrums durchaus zu schätzen wissen. Mißverständlich ist, daß Girls Against Boys eine MTV-Kompatibilität anstreben könnten. Tatsächlich wird die Bösartigkeit, das Haß- Wut-Schema, die kompromißlose Art des Ausdrucks, die Hardcore auszeichnet, in eine diffizilere Musik überführt. Eine Musik, die zwar Weisheit ausstrahlt, aber nichts von den ursprünglichen Qualitäten einbüßt. Also ein Weg, den in gewisser Weise auch Fugazi gegangen sind. Doch wo die ihre Punkklänge mit Jazzstrukturen und GoGo-Rhythmik fütterten, setzen Girls Against Boys auf klassischen Rock, der aber in nahezu allen Ebenen bis ins Undenkbare hin erweitert wird. Das fängt an mit der Stimme, die mal kotzt, mal näselt, mal schreit und mal überhaupt nicht zu hören ist. Geht weiter zu schmerzenden Gitarrensoli bis zu Rhythmen, die althergebrachte Rockdramatik schlicht sprengen. Leider setzen sich die vier damit gnadenlos zwischen alle Stühle. Auf der letzten Tour spielten sie teilweise vor zwanzig Menschen. Doch es wird Zeit, daß sowohl HC- als auch Rock-Puristen eine Annäherung wagen.

Am 17.12. um 22 Uhr mit 3rd Statement (Berlin) im K.O.B., Potsdamer Straße 157, Schöneberg

Abteilung „Unendliche Karriere“: The Five Blind Boys Of Alabama gründeten sich 1937 (in Worten: Neunzehnhundertsiebenunddreißig), hatten ihren ersten Hit 1949, ihren ersten Auftritt vor einem weißen Publikum 1962, und auch heute noch singen sie ihren völlig puristischen Gospel. Die fünf Boys sind schon lange keine Boys mehr, nicht alle blind und auch nur zu viert, aber schon seit 45 Jahren ohne Besetzungswechsel zusammen. Gerne singen sie a cappella, aber sie lassen auch schon mal eine Kirchenorgel etwas heftiger dudeln oder legen einen sanften Funk-Groove unter. Ein kurzfristiges Berufsverbot verschaffte ihnen das US- Gesundheitsministerium in grauer Vorzeit, weil das Publikum auf die religiöse Ekstase gar zu ekstatisch reagierte und reihenweise in Ohnmacht fiel.

Am 18.12. um 22 Uhr im Franz, Schönhauser Allee 36–39, Prenzlauer Berg

Abteilung „Kommende Karriere“: Wenn Bluekilla von „Rude Boys sitting in the cell-ar“ singen und das „R“ in „Rastaman“ besonders derbe rollen, merkt man ihnen nicht nur an, daß sie aus Bayern kommen, sondern auch, daß sie sich und ihren Ska nicht allzu ernst nehmen. Da wird schon mal „Hey Joe“ angespielt und schnell wieder verworfen, mal klingt der Off-Beat gar irgendwie nach Country. Immerhin befand das Fanzine „Skintonic“, die Bibel eines jeden ehrlichen SHARP-Puristen, daß der Two- Tone-Ska von Bluekilla „astrein“ sei. Ansonsten kann man sich immer nur wundern, daß aus München hin und wieder tatsächlich eine gut hörbare Kapelle kommt.

Am 18.12. um 22 Uhr im K.O.B.

Abteilung „Proletarische Karriere“: Mir als Westler steht das ja nicht zu, aber die Baggerfahrer- Geschichte von Gerhard Gundermann kann ich nicht mehr hören. Deshalb lass' ich sie hier einfach weg, auch wenn sie eigentlich ja ganz hübsch ist. Ansonsten schreibt Gundermann klasse Texte, ob nun niedlich-verschämte Macho-Poetik („Gestern hab' ich von dir 'nen alten Schlüpfer entdeckt / den hab' ich wie 'n Schatz unter mein' Kissen versteckt“) oder fröhlich-dreiste Naturschwärmerei („In den Zweigen soll'n die Vögel wieder wohnen und mit mir die Kirschen teilen“). Texte, wie sie Männer zum Rotwerden bringen und Frauen zum Dahinschmelzen. Dafür müßte man ihn schon küssen, weil das auf deutsch immer noch so selten ist. Richtig überraschend ist aber erst, daß seine neue Platte musikalisch zwar nicht mehr so gut ist wie die zuvor (namens „Einsame Spitze“), aber bei weitem nicht so öde, wie man bei der Mitarbeit von Silly-Recken erwarten durfte. Aber den in der zitty selbstbestätigten Vergleich mit Grönemeyer hat er nicht verdient. Eher schon, als wäre Marius Müller-Westernhagen praktizierender Familienvater geworden. Und der rockige Gundermann ist sowieso wohl der bessere von den beiden Bruce Springsteens. Der, der die schlichten Zeilen findet und sich auch noch zu singen traut – und dazu noch überzeugend scheiße aussieht. Und wenn die Seilschaft so richtig altmodisch und ein wenig hausbacken losrockt, dann fehlt auch nicht mehr viel zur E Street Band. Und die Lausitz ist ja sowieso fast dasselbe wie der Mittlere Westen.

Am 19.12. um 22 Uhr im Franz

Abteilung „Versumpfte Karriere“: Nur einen Tag später läßt sich überprüfen, daß der Westen, was das Rockbardentum angeht, im Vergleich reichlich abgewirtschaftet hat. Dem ganz frühen Heinz Rudolf Kunze hätte man zwar etwas mehr Pep beim Vortrag gewünscht, aber daß er dann gleich auch noch alle seine sprachlichen Fertigkeiten der aufgeschwemmten Popsülze anpaßt, mußte nicht sein. Typischer Fall von: Was hoffnungsvoll begann, kann trotzdem übel enden.

Am 20.12. und 21.12. um 20 Uhr im Großen Sendesaal des SFB, Masurenallee 8–14 Thomas Winkler