: Herta Däubler-Gmelin mag nicht mehr kandidieren
■ Die SPD-Politikerin verzichtet wegen des Parteienstreits auf ihre Kandidatur als Verfassungsrichterin / Die Parteien müssen jetzt erneut um den Posten beraten
Berlin (taz/AFP) – „Was man sich nicht erfliegen kann, das muß man sich erhinken“. Rückerts Motto aus dem 19. Jahrhundert gilt für die Frauen heute noch. Hin und wieder erlahmen sie auf dem langen Weg, und dann wird wieder ein Männerplätzchen freigerückt: so räumte jetzt Herta Däubler-Gmelin nach über neunmonatigem Parteienstreit ihre Kandidatur als Vizepräsidentin des Bundesverfassungsgerichts.
Ihre Entscheidung begründete die 50jährige SPD-Politikerin am Freitag in Bonn damit, daß sich nicht absehen lasse, ob die Union ihre „Blockadepolitik“ bis zu den Bundestagswahlen im Oktober 1994 beenden werde. Dieses „unwürdige Gezerre“ sei weder dem Bundesverfassungsgericht noch ihr selbst länger zuzumuten. Die Rechtsexpertin hätte eigentlich schon im Juli die Nachfolge von Ernst-Gottfried Mahrenholz antreten sollen. Ihre Blockierung begründete Unions-Fraktionschef Schäuble damit, daß die stellvertretende SPD-Vorsitzende „von parteipolitischem Denken geprägt“ sei – was ihn im Falle der CDU-Kollegen Gebhard Müller, Ernst Benda und Roman Herzog naturgemäß nicht weiter störte.
SPD-Geschäftsführer Verheugen bedauerte den Verzicht und sagte, die SPD sei entschlossen gewesen, den von Schäuble „provozierten Konflikt auszutragen“. Däubler-Gmelin wird jetzt wieder für den Bundestag kandidieren.
Wegen des Parteienstreits über die Mahrenholz-Nachfolge sind auch andere Personalfragen, in denen die Großparteien wegen der erforderlichen Zweidrittelmehrheit aufeinander angewiesen sind, offen geblieben. Seit der Entlassung von Generalbundesanwalt von Stahl ist dessen Posten unbesetzt, weil die SPD im Bundesrat ihre Zustimmung zum parteilosen Kandidaten der Bundesregierung, Kay Nehm, verweigert hatte; die Nachfolge des im Januar ausscheidenden Präsidenten des Bundesarbeitsgerichts ist ebenfalls noch nicht geklärt. Das Bundesverfassungsgericht hat selbst mehrere KandidatInnen ernannt: die Richterin am Bundessozialgericht, Renate Jäger, die SPD-Abgeordnete Margot von Renesse sowie den SPD-Rechtsexperten Willfried Penner. Nach den zwischen den Parteien ausgehandelten Nominierungsgepflogenheiten steht der SPD bei der Mahrenholz- Nachfolge das Vorschlagsrecht zu, das verhilft aber – wie im Falle Däubler-Gmelin offensichtlich – zu keiner Entscheidung.
Verheugen schlägt nun neue Beratungen vor. Womöglich tritt dann Ex-Bundesjustizminister Schmude wieder auf den Plan, der zugunsten Däubler-Gmelins verzichtet hatte: Er ist zwar SPD, aber wenigstens keine Frau.
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