: Bruderkriege in Irakisch-Kurdistan
■ Im autonomen Norden Iraks wurden in den letzten zehn Tagen bei Gefechten zwischen regierungstreuen Peschmerga, Islamisten und einer sozialistischen Splittergruppe mindestens zwanzig Kurden getötet
Berlin (taz) – Bei Schießereien zwischen rivalisierenden kurdischen Organisationen wurden in Irakisch-Kurdistan in den letzten zehn Tagen mindestens 20 Menschen getötet und 64 verletzt. In Raniya, nahe der Grenze zum Iran, starben allein am Montag zehn Personen. Anlaß der Schießerei war die Beerdigung eines Mitglieds der „Islamischen Kurdischen Bewegung“. Nach Angaben der Hilfsorganisation medico international stürmten nach der Trauerfeier bewaffnete Mitglieder der islamistischen Organisation das örtliche Büro der „Patriotischen Union Kurdistans“ (PUK). Ihr Gefolgsmann war am Samstag bei einer Schießerei mit Mitgliedern der PUK in der Stadt Kalar getötet worden. Bei dem Gefecht waren zwei Angehörige der PUK und drei Islamisten erschossen worden. Raniya ist seit Montag praktisch abgeriegelt, die Versorgung ist zusammengebrochen. Ein Großteil der Stadt wird von Islamisten kontrolliert. medico mußte wegen der Auseinandersetzungen sein dortiges Büro schließen.
Nach verschiedenen Berichten soll es in mehreren Städten des seit dem Frühjahr 1991 von Kurden kontrollierten Nordens des Irak zu ähnlichen Konflikten gekommen sein. Schießereien zwischen Islamisten und Peschmerga der Autonomieregierung wurden auch aus Schaqlawa gemeldet. In dem Ort unterhält die PUK ihr Hauptquartier. Die „Islamische Kurdische Bewegung“ wird von den Regierungen Irans und Saudi-Arabiens finanziell unterstützt.
Bereits in der vergangenen Woche hatte es in der Provinzhauptstadt Sulaimaniya Kämpfe zwischen bewaffneten Angehörigen der „Kurdischen Demokratischen Partei“ (KDP) und einer Abspaltung der „Sozialistischen Kurdischen Partei“ gegeben. Offiziell waren die Sozialisten im Sommer in die KDP integriert worden. Ein ehemaliger Funktionär der Partei, Muhammad Hadschi Mahmud, der gute Verbindungen in den Iran unterhält, hatte sie aber unter dem alten Namen wieder gegründet. Die zu gleichen Teilen von PUK und KDP sowie einigen Assyrern gebildete kurdische Regierung warf ihm daraufhin vor, kurdisches Parteienrecht zu brechen, und ordnete die Schließung der Parteibüros. In Sulaimaniya setzten sich Mahmud und seine Anhänger mit Waffengewalt dagegen zu Wehr. Danach kam es in der Stadt zu mehreren Demonstrationen gegen die Regierung. In deren Verlauf griff der stellvertretende kurdische Verteidigungsminister Qadir Qadir zur Pistole und feuerte in die Menge. Nachdem er mehrere Demonstranten verletzt hatte, wurde Qadir überwältigt und entwaffnet.
Die anhaltenden Kämpfe bringen die kurdische Regierung in Bedrängnis. Es wird vermutet, daß der irakische und der iranische Geheimdienst die Auseinandersetzungen forcieren, um die kurdische Autonomie zu schwächen. Die zerstrittenen Führer der KDP, Massud Barsani, und PUK, Dschalal Talabani, versuchen Einheit zu demonstrieren. Angeblich erwägen beide, gemeinsam nach Raniya zu fahren, um den Konflikt zu schlichten.
Am 18. Dezember beschlossen die Führungen von KDP und PUK die Einrichtung eines achtköpfigen Rates zur Lösung der Probleme des vom Rest des Iraks abgenabelten Landesteils. Dem Gremium gehören jedoch ausschließlich Vertreter von PUK und KDP an, darunter Barsani und Talabani. Auch nach der Gründung des Rates soll es in der Hauptstadt Arbil zu Demonstrationen gegen die Regierung gekommen sein. Die erbosten Kurden warfen den Politikern vor, das von ausländischen Hilfslieferungen abhängige Gebiet nicht vernünftig zu regieren, sondern sich zu bereichern und oppositionelle Gruppen zu unterdrücken. Erst am 11. Dezember war der angesehene kurdische Dichter Shirko Bekes von seinem Amt als Kulturminister zurückgetreten. In einem Brief an den Ministerpräsidenten begründet er seinen Schritt damit, daß die kurdische Regierung zwei Zeitungen verboten habe, die über die Situation in Türkisch-Kurdistan und die dort agierende „Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK) berichtet hatten, sowie mit einem Fußballspiel zweier kurdischer Mannschaften, von denen eine Trikots mit dem Konterfei Saddam Husseins getragen habe.
Verwirrung löste Anfang der Woche eine Aussage Barsanis aus, wonach die PKK heimlich ihr Hauptquartier nach Irakisch-Kurdistan verlegt habe. Beoabachter bestätigten zwar, daß zahlreiche PKKler in den letzten Wochen aus dem Iran in den Irak gekommen seien, von einer Verlegung des Hauptquartiers könne jedoch keine Rede sein. Anfang der Woche hatten in Ankara der stellvertretende iranische Präsident Habibi und die türkische Regierunschefin Ciller ein gemeinsames Vorgehen Irans und der Türkei gegen die PKK vereinbart. Thomas Dreger
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen