: Freispruch für schießwütige Soldaten
Nordirisches Gericht entschied, daß sechs unabhängige Zeugen Meineide geleistet haben / Mordanklage gegen zwei Angehörige der britischen Armee trotz Zweifel fallengelassen ■ Aus Dublin Ralf Sotscheck
Kann man einen Menschen irrtümlich mit 20 Kugeln durchsieben? Ja – wenn man ein britischer Soldat ist. Der oberste nordirische Richter Brian Hutton sprach die beiden Soldaten Richard Elkington (23) und Andrew Callaghan (21) am Donnerstag von einer Mordanklage frei, obwohl er „erhebliche Zweifel“ an ihren Aussagen habe. Doch einen Meineid wollte er ihnen nicht unterstellen. Den haben seiner Meinung aber sechs unbeteiligte Zeugen geleistet, deren Aussagen die beiden Soldaten schwer belasteten.
Was war geschehen? Am 30. Dezember 1990 fuhr der 20jährige Fergal Caraher – ein Mitglied von Sinn Fein, dem politischen Flügel der IRA – in der nordirischen Grenzstadt Cullyhanna an einer Armeekontrollstelle vorbei und hielt auf dem Parkplatz einer nur wenige Meter entfernten Kneipe. Dort übernahm sein Bruder Michael das Steuer. Als der Wagen vom Parkplatz wieder in die Hauptstraße einbog, eröffneten die beiden Soldaten das Feuer und töteten Fergal Caraher. Michael wurde schwer verletzt. So weit die groben Tatsachen. Bei den Einzelheiten unterscheiden sich die Versionen allerdings erheblich.
Die Soldaten behaupteten vor Gericht, daß Fergal Caraher durch den Kontrollpunkt gefahren war, obwohl man ihn anhalten wollte. Daraufhin entbrannte auf dem Kneipenparkplatz ein Streit, in dessen Verlauf Michael hinzukam, der sich dann ans Steuer des Autos von seinem Bruder setzte und losfuhr. Die beiden Soldaten glaubten, daß einer ihrer Kollegen auf der Kühlerhaube mitgeschleift wurde und eröffneten das Feuer. Michael Caraher sagte dagegen, daß die Soldaten seinen Bruder am Kontrollpunkt durchgewunken hätten. Es habe auf dem Parkplatz keinen Streit gegeben, und kein Soldat sei von dem Auto mitgeschleift worden. Die Soldaten hätten ohne Vorwarnung und ohne Grund geschossen. Seine Aussage wurde von sechs unbeteiligten Zeugen bestätigt.
Richter Hutton bezichtigte die Zeugen des Meineids, weil sie ihre Aussagen nicht gegenüber der Polizei, sondern gegenüber einem Rechtsanwalt gemacht hatten, der die Aussagen dann an die Beamten weiterleitete. Darüber hinaus beantworteten sie Nachfragen der Polizei nicht direkt, sondern nur schriftlich. Deshalb stand für den Richter fest, daß die Zeugen ihre Aussagen koordiniert haben, um den beiden Soldaten zu schaden.
Es sind freilich Richter wie Brian Hutton und Soldaten wie Richard Elkington und Andrew Callaghan, die sowohl die Rechtsprechung, als auch die „Sicherheitskräfte“ im vergangenen Vierteljahrhundert dermaßen in Verruf gebracht haben, daß unabhängige Zeugen jegliches Vertrauen in Polizei, Armee und Gerichte verloren haben. Von mehr als 350 Fällen, in denen Menschen von Soldaten oder Polizisten getötet worden sind, kam es nur vier Mal zu Verurteilungen. Der einzige Soldat, der wegen Mordes zu lebenslänglicher Haft verurteilt worden war, kam nach gut einem Jahr frei und bildet seitdem Rekruten in England aus. Aus all diesen Gründen wollten die Zeugen im Fall Caraher nur gegenüber einem Anwalt aussagen.
Der Freispruch hat die Beziehungen zwischen London und Dublin, die sich seit der gemeinsamen Erklärung zu Nordirland vor zwei Wochen entspannt hatten, erneut belastet. Michael Ritchie vom nordirischen Bürgerrechtskomitee verlangte, daß die Rechtsprechung im Vereinten Königreich internationalen Gepflogenheiten angepaßt werde. Während die Sicherheitskräfte in den meisten Ländern lediglich „unbedingt notwendige Gewalt“ anwenden dürfen, heißt es in Großbritannien und Nordirland, daß „den Umständen angemessene Gewalt“ zulässig sei. Fergal Carahers Witwe Margaret sagte nach der Urteilsverkündung: „Wir sind natürlich enttäuscht, haben von diesem Justizsystem aber eigentlich nichts anderes erwartet. Bei all dem Gerede von Frieden in Nordirland sagt niemand ein Wort über die Gewalt der staatlichen Organe und über die Leute, die für Fergals Tod verantwortlich sind.“
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