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Gute Geschäfte mit russischen Militärs

■ Siemens liefert radioaktiven Abfall aus der Brennelementenfabrik Hanau in die militärische Atomanlage von Tomsk, Sibirien / Der deutsche Umweltminister Töpfer hat dem Atmmüllexport zugestimmt

Berlin (taz) – Russische Grüne warnten diesen Sommer vor heimlichen Geschäften. Ihren Informationen zufolge sollten mehrere tausend „Behälter mit atomaren Abfällen aus Deutschland“ unter anderem in das militärische Sperrgebiet von Tscheljabinsk geliefert werden. Was dort mit dem radioaktiven Material geschehen sollte, ist unbekannt. Das unterbezahlte und frustrierte Bedienungspersonal schafft es heute kaum noch, die Anlagen in den Atomzentren der ehemaligen Sowjetunion in Ordnung zu halten. Mehrmals kam es zu Unfällen, über deren tatsächliche Folgen bisher kaum zuverlässige Informationen vorliegen.

Auch deutsche Experten, die im Auftrag des Bundesumweltministers die russischen Atomanlagen besuchten, berichten vor allem über Mißstände. 800 Millionen Dollar will die amerikanische Regierung zur Verfügung stellen, um wenigstens das Plutonium-Arsenal der einstigen Weltmacht sicherzustellen. Aber während die Regierungen noch über Hilfsmaßnahmen nachdenken, hat Siemens schon gehandelt. Ein Konzernsprecher hat einen Tag vor Weihnachten der Frankfurter Rundschau bestätigt, daß schon im Juli dieses Jahres mit dem Verantwortlichen der Atomfabrik Tomsk ein „Kooperationsvertrag“ abgeschlossen worden sei.

Inhalt des Deals: Siemens schickt in den nächsten zwölf Monaten 140 Tonnen sogenannter „leicht verunreinigter Fertigungsreste“ aus ihrer Brennelementfabrik Hanau in die unter militärischer Aufsicht stehende Anlage von Tomsk. Die russischen Partner, die als „Sibrian Group of Chemical Enterprises Tomsk“ firmieren, liefern als Gegenleistung 70 Tonnen angereichertes Uranhexafluorid ins hessische Hanau – den Grundstoff für kommerzielle Atombrennstäbe.

Umweltminister Töpfer hat keine Einwände erhoben, Gefahren kann der Siemens-Sprecher ohnehin nicht erkennen: es handle sich bei den Abfällen aus seinem Hause um unbedeutende Mengen. Nur hilft das Rußlandgeschäft dem Konzern aus der Klemme: Eine Wasserstoffexplosion hat vor drei Jahren den Hanauer Betriebsteil zerstört, in dem Abfälle aus der Brennelementfertigung weiterverarbeitet wurden. Mehrere Gerichtsurteile und Anordnungen des hessischen Umweltministers Joschka Fischer (Grüne) haben bisher den geplanten Bau einer neuen Produktionsanlage verhindert. Am 6. April dieses Jahres sprengte aber auch in Tomsk eine schwere Explosion einen Atom- Lagertank in die Luft – wenige Monate vor Abschluß des Vertrages mit der Siemens AG. Etwa 200 Quadratkilometer Land sind verseucht worden.

Davon haben die Hanauer Techniker jedoch nichts bemerkt. Was sie im Sperrgebiet von Tomsk sahen, entspreche „hohen Qualitätsstandards“, läßt der Konzern verlauten; außerdem habe sich der Unfall in „einer ganz anderen Ecke“ ereignet als dort, wo die Abfälle aus Deutschland gelagert werden sollen. Niklaus Hablützel

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