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„Wandel durch Annäherung“ im Sport

In der Sportpolitik setzt die Große Koalition die Konzepte des ehemaligen rot-grünen Senats um, obwohl die CDU die Grünen damals heftig attackierte / Al-Referatsleiter jetzt abgesägt  ■ Von Jürgen Schulz

„Unter dem rot-grünen Senat“, betont Günter Lütke, „wurde in Berlin ein neuer Weg in der Sportpolitik bestritten.“ Lütke muß es wissen, fungierte er doch seit Beginn als Referatsleiter für Freizeit, Sport und Veranstaltungen in der Sportverwaltung. Diese wurde zwischen 1988 und 1990 vom streitbaren Staatssekretär Hans-Jürgen „Cola“ Kuhn (AL) geprägt, der zur Jagd auf die heiligen Kühe der organisierten Berliner Leibesübungen blies. AL-Senatorin Sybille Volkholz gewährte ihm freies Schußfeld. Sehr zum Unwillen der arrivierten Funktionärskaste, die ihre Pfründe gefährdet sah.

„Im Verein ist Sport am schönsten“ oder „Sportvereine – Stützen der Gesellschaft“: Derart uneigennützig stellt der Landessportbund Berlin (LSB), der Schutzpatron der eingetragenen Vereine, seine Bestimmung dar. Der LSB ist jedoch weit mehr; längst spielt er eine mächtige politische Rolle als Lobbyist für Hunderttausende von aktiven und passiven Trimm-dich- Jüngern. Das Wort des LSB-Präsidenten Manfred von Richthofen wiegt schwer. Und mit „MvR“, dem leibhaftigen Neffen des „Roten Barons“, legten sich Kühn und Lütke an. Das alternative Duo verlagerte den Schwerpunkt der Arbeit auf den Freizeit- und Jugendsport, zudem sollte es mit ökologischen Auflagen sportlichen Umweltrowdies an den Kragen gehen.

„Die Vereine wurden von den Jugendlichen immer weniger akzeptiert“, meint Lütke rückblickend, „trotzdem förderte der Senat bis dahin nur den Spitzen- und Vereinssport.“ Die Kuhn-Verwaltung forcierte dagegen neue Formen von Freizeitangeboten und Einrichtungen für Jugendliche wie die „Mobilen Teams“ (eine Art sportlicher Streetworker), Sportjugendclubs oder Fan-Projekte, die sie unter sozialpädagogischen Gesichtspunkten konzipierten. Diese neuartigen Vorhaben sollten vor allem jene unorganisierten Kids ansprechen, die keinen Bock auf Vereinsmeierei verspürten. Gegenwärtig führen nur etwas mehr als 100.000 minderjährige Berliner ihren Mitgliedsbeitrag an einen Sportclub ab.

Verbale Prügel seitens des LSB, der „eingetragenen Vereine“ sowie der CDU-Opposition ernteten daraufhin die Alternativen, „obwohl wir keine negative Abgrenzung zum Spitzensport im Sinn hatten“, so Hobby-Marathonläufer Lütke. Mit der Vergabe von Belegungszeiten von Hallen und Sportplätzen für „ihre freie Gruppen“, so ein hoher Vereinsfunktionär, hätten Kuhn und Lütke sämtliche LSB-Fässer zum Überlaufen gebracht: „Die Sportstättensituation für unsere Vereine ist ohnehin alles andere als rosig. Wenn sich die AL mit ihrem Vorhaben durchgesetzt hätte, wäre das eine Katastrophe für unsere Vereine geworden“, redt sich der Funktionär selbst heute noch in Rage: „Vor allem dem Motorsport wollte die AL mit ihren Umweltschutzbestimmungen an den Kragen. Doch damit hätten sie zugleich auch die Segler, Ruderer oder Kanuten getroffen, die zum Teil auch Motoren benutzen müssen, um zu ihren Revieren zu gelangen. Das konnte der LSB einfach nicht zulassen.“ Die olympischen Träume, so versichert er, hätten dagegen keine Rolle gespielt bei der Anti-AL-Front. Schließlich war Kuhn anfänglich Olympia-Befürworter.

Nach dem Ende der rot-grünen Ehe fielen denn auch alsbald die harten Umweltauflagen für den Motorsport zu Lande (Avus) oder auf dem Wasser (Fahrverbote für Motorboote). Aber wer vermutet hätte, die CDU/SPD-Regierung würde die Sportuhren gänzlich zurückdrehen, sah sich getäuscht. Günter Lütke: „Sie haben über unsere Politik hergezogen, doch alle unsere Grundlagen konnten sie nicht wegfegen.“ Wollten sie vielleicht auch gar nicht. Bereits 1992, zu Zeiten der Enquetekommission über Fragen der Jugendgewalt, wurde deutlich, daß die Schwarz- Roten dem Sport als Medium der Sozialarbeit einen hohen Stellenwert beimaßen. Das pädagogische Spiel ohne Vereinssatzungen galt „plötzlich“ als geeignetes Mittel, Kontakt zu gewaltbereiten Minderjährigen aufzunehmen.

„Die theoretischen Vorarbeiten wurden von Rot-Grün geplant, unter Schwarz-Rot jedoch umgesetzt“, sieht der einstige Referatsleiter Lütke eine partielle Kontinuität in der Sportpolitik der letzten Wechsel-Jahre. Selbst in Zahlen schlug sich dieser Berliner „Wandel durch Annäherung“ zwischen Rot-Grün und Schwarz-Rot nieder. Von 1993 bis 1995 stellt der Landeshaushalt jährlich zehn Millionen Mark für die Umsetzung originär alternativer Pläne zur Verfügung. Damit werden Sportjugendclubs finanziert, Fan-Projekte alimentiert oder auch mobile Sport-Sozialarbeit on the road ermöglicht. Eines stört Lütke allerdings: daß die Sportjugend Berlin, die dem LSB untersteht, die Trägerschaft des Gesamtwerkes übernommen hat: „Angesichts der wachsenden gesellschaftspolitischen Bedeutung des Sports brauchen wir eine größere Vielfalt der Sportanbieter.“

„Man muß es positiv sehen, daß soviel Geld bereitgestellt wird“, betont Günter Lütke. Er wird von CDU-Sportsenator Klemann nach langer interner Schikane zum Jahreswechsel als Referatsleiter abgelöst. Zunächst über viele Monate kaltgestellt, wurde ihm im Herbst ein ehemalige Mitarbeiter der Olympia GmbH vor die Nase gesetzt. Manfred von Richthofen darf zufrieden sein.

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