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Etappensieg

Anscheinend hat sich der europäische Filmmarkt von den Gatt-Verhandlungen beruhigen lassen. Aber reicht das? Brauchen wir jetzt nationale Quoten? Ein Gespräch mit Dieter Kosslick, dem Geschäftsführer der Filmstiftung Nordrhein-Westfalen

taz: Herr Kosslick, zählen Sie sich zu den Siegern der Gatt-Auseinandersetzung zwischen Europa und den USA?

Kosslick: Ja, wir haben gewonnen. Wir müssen besonders den Franzosen dankbar sein, unter deren Führung wir gegen die Einbeziehung der audiovisuellen Medien in den Gatt-Zusammenhang gekämpft haben. Bei Licht besehen glaube ich aber, daß es nur ein Etappensieg war. Auch der amerikanische Markt deckt nicht mehr für alle Spitzentitel die Produktionskosten ab. Der Export und der freie Zugang zum Weltmarkt wird für Hollywood immer wichtiger. Die Amerikaner werden das Ding bei nächster Gelegenheit wieder auf den Tisch bringen.

Was bedeutet Ihr Etappensieg denn für die Struktur der europäischen Filmwirtschaft?

Erst mal gar nichts. Wir sind jetzt wieder da, wo wir vor einem Dreivierteljahr waren. Und dennoch: Nie zuvor hat es eine solch große Kampagne von Teilen der europäischen Kulturwirtschaft für ihre eigenen Belange gegeben. Die Amerikaner haben es nicht geschafft, Fernsehen und Film einfach als Seife zu deklarieren.

Die Amerikaner haben nicht von Seife geredet, sondern von Dienstleistungen. Diese Definition für Fernsehen und Film entspricht höchstrichterlicher EG- Rechtsprechung...

...der wiederum höchstrichterliche Rechtsprechung in der Bundesrepublik – Stichwort Maastricht-Urteil – widersprechen kann. Auch wenn es kein entsprechendes Urteil in Sachen Film gibt, so gilt hierzulande zumindest das Fernsehen als Kulturgut, das zur Kulturhoheit der Länder zählt.

Wie unterscheiden Sie zwischen audiovisuellen Kulturgütern und Dienstleistungen?

Tatsächlich haben wir gegenüber den Amerikanern ein bißchen schizophren argumentiert. Wenn wir von Kultur sprechen, meinen wir vor allem den unterschiedlichen Umgang mit der Audiovision in den verschiedenen europäischen Ländern. Wir haben ja gerade erst angefangen, Europa zu bauen. Und weil dieses Europa der Unterschiede über Medien vermittelt wird, brauchen Sie Fernseh- und Filmproduktionen, die für kulturelle Identitäten stehen – meinetwegen für Käse aus Frankreich, Bier aus Belgien, Spaghetti aus Italien und für alles, was den Deutschen davon nicht schmeckt. Auf der anderen Seite würden wir, gerade im Filmbereich, auch gerne eine richtige Wirtschaft sein – wenn wir nur könnten.

Frankreich gibt 750 Millionen Mark zur Förderung von Fernsehen und Film aus und hält damit 40 Prozent nationalen Kinomarkt. In der Bundesrepublik wird mit 200 Millionen Mark Filmfördergeldern ein Marktanteil von 10 Prozent erreicht. Welchen Marktanteil wünschen Sie sich denn für eine europäische Filmwirtschaft insgesamt?

Wir können froh sein, daß es in Frankreich höhere Quoten gibt. Wenn wir europaweit durchschnittlich 20 bis 25 Prozent nationaler Produktionen im Kino hätten, stünden wir schon ganz gut da. In Deutschland schwankt der Anteil der hier produzierten Filme am Verleihumsatz in den letzten zwanzig Jahren zwischen 8 und 25 Prozent.

Der Film ist bekanntlich nur ein kleiner Teil der gesamten audiovisuellen Produktion. Dementsprechend sind auch die großen Studios wie etwa die Bavaria in München, Studio Hamburg oder die Magic Media Company in Köln vor allem TV-Studios. Auch Babelsberg ist nach Einschätzung von Fachleuten nur lebensfähig, wenn seine Filmproduktion mit Fernsehen unterfüttert wird. Rettet das Fernsehen den Film?

Sie haben recht. Allein auf Film zu setzen wäre heute für jeden Produzenten ein gefährliches Unternehmen. Selbst in Frankreich, dem einzigen europäischen Land mit einer nennenswerten Filmindustrie, gibt es kaum pure Filmproduzenten. Andererseits werden auch die französischen TV-Quoten mit Filmproduktionen erreicht. Ich denke, daß sich dieser audiovisuelle Zusammenhang in Zukunft noch intensiviert.

Sind Sie eigentlich im Zusammenhang der Gatt-Diskussion Befürworter einer Quotierung für nationale beziehungsweise europäische Produktionen im Kino?

Nein. Ich bin eher ein Anhänger von Fusionskontrolle und Kartellgesetzgebung. Ich kämpfe angesichts der amerikanischen Vertriebsstrukturen in Europa auch nicht gegen das amerikanische Kino, sondern gegen eine kartellartige Organisation, die im normalen Wirtschaftsleben der Fusionskontrolle unterliegt. Wenn jemand eine Firma zu 98 Prozent übernehmen will, muß das angemeldet werden.

Marktanteil ist doch was anderes als Eigentum an Firmen.

Jack Valenti als Sprecher der Hollywood-Majors hat gesagt: wir wollen in Europa 98 Prozent. Mir ist es dann egal, ob das Markt- oder Besitzanteile sind. Das sind 98 Prozent aller Leinwände. Als Präsident des European Film Distribution Office EFDO und damit der einzigen internationalen europäischen Verleih-Organisation weiß ich, wovon ich rede. Der Großteil der europäischen Verleiher sind kleine und mittelständische, oft unterkapitalisierte Betriebe, die ihre Filme meist in nationalen Territorien vertreiben. Im Unterschied zu United International Pictures UIP, die für die US-Majors den europäischen Vertrieb zu über 80 Prozent beherrschen, haben wir selbst keinen Euro-Major.

Das Gatt-Ergebnis hat Ihnen nun Zeit zum Luftholen gelassen. Was wäre fortan Ihre eigene Strategie für Europa?

Zunächst intelligente Kampagnen für intelligente Produktionen, die auch vermarktbar sind. Ich denke da beispielsweise an Filme wie „Crying Game“, der bei Produktionskosten von 7 Millionen Mark sogar in den USA 120 Millionen Dollar eingespielt hat. Und selbst „Abgeschminkt“, der nur 80.000 Mark gekostet hat, konnte eine Million Zuschauer erreichen. Daß ein europäischer Verleiher wie Jürgen Wohlrabe mal für 5,5 Millionen Mark den „Terminator“ ankauft, kommt allerdings selten vor.

Auch intelligente Kampagnen kosten heutzutage viel Geld...

In der Tat. Von den wenigen Filmfördermitteln, die uns insgesamt zur Verfügung stehen, sollten wir deshalb allenfalls noch die Hälfte in die Produktionsförderung und viel mehr in den ganzen Vorbereich stecken – in Drehbuchförderung, Projektentwicklung und Absatzförderung. Die Filmstiftung NRW jedenfalls hat schon in diesem Jahr 10 Prozent ihrer Mittel für den Vorbereitungsbereich und 25 Prozent für Vertriebsförderung verwendet. Aber bis wir europaweit auf diesem Level sind, dauert das seine Zeit.

Auch bundesweit dauert es, die Strukturkrise des Films in den Griff zu kriegen. Wäre nun – nach Gatt – eine stärkere Zentralisierung der bundesdeutschen Filmförderung hilfreich?

Ich habe da meine Zweifel. Ich bin gegen eine zentralistische Filmpolitik. Nicht zuletzt deshalb, weil es sich bei Fördergeldern wie denen der Filmstiftung NRW um Steuer- und Gebührengelder aus den Regionen handelt, bin ich für eine föderale Filmförderung. Und nur durch die Regionen haben wir die Filmförderung in den letzten zehn Jahren bundesweit verdoppeln können. Das ist wenig genug – die gesamten Mittel der deutschen Filmförderung entsprechen ungefähr dem jährlichen Gesamtetat der drei Hamburger Staatstheater. Bedenken Sie bitte dabei auch, daß die jährliche Theaterförderung bundesweit bei 3,3 Milliarden Mark liegt.

Unabhängig vom Gatt ist die audiovisuelle Programmproduktion in der BRD von heftigen Standort-Konkurrenzen geprägt, gerade zwischen den Medienplätzen NRW, München, Hamburg und Berlin. Setzen Sie nun – nach Gatt – auf mehr Kooperation?

Durchaus. Natürlich wird die Förderung von Fernsehen und Film weiter Standortpolitik sein. Wenn man soviel Geld ausgibt wie wir in NRW, muß das Bundesland auch was davon haben. Aber wir nehmen uns wechselseitig nichts weg. Beispielsweise haben wir acht Millionen Mark – das entspricht ungefähr dem Jahresetat des Filmfonds Hamburg – effektfrei in an

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dere Bundesländer gegeben, damit dort gedreht werden konnte. Man kann also nicht sagen, daß wir uns nicht großzügig verhalten hätten. Wenn sich die anderen Bundesländer in Teilen solchen kompensatorischen Modellen anschließen würden, wären wir schon weiter.

Der Standort NRW hat inzwischen eine weitgefächerte audiovisuelle Infrastruktur. Kann sich NRW neben seinem TV-Schwerpunkt in Köln noch weitere Teilstandorte wie das geplante Filmzentrum Wildenrath und neue Filmstudios in Bottrop leisten?

Wir arbeiten hier in einem Flächenstaat und nicht etwa in Hamburg, wo die Dinge vielleicht einfacher liegen. Wenn wir feststellen sollten, daß sich etwa Köln und Wildenrath wechselseitig ausschließen, wird es jedenfalls mit der Filmstiftung keinen Aufbau eines Standortes zu Lasten eines anderen geben.

Beim Standort-Marketing behaupten viele, demnächst die Größten zu sein. Regisseur Peter Fleischmann zum Beispiel hat kürzlich für Babelsberg angekündigt, in zwei Jahren sei man das größte Filmzentrum Europas.

Dazu gratuliere ich Herrn Fleischmann, der ja für größere Formate bekannt ist, herzlich und hoffe, daß alle seine Träume in Erfüllung gehen. Wir haben überhaupt nichts dagegen, wenn Babelsberg das große europäische Filmzentrum wird. Wir finden es nur seltsam, wenn wir hier gleichsam mit einem Berufsverbot belegt werden und keine Studios mehr bauen dürfen, nur weil NRW nicht wie Babelsberg einer der historischen deutschen Filmplätze ist. Da lachen doch die Hühner.

Volker Schlöndorff hält Ihre Wildenrath-Planung, die in ihren Dimensionen Babelsberg um einiges übertrifft, für unsinnig und unverantwortlich, weil jeder Arbeitsplatz, der dort entstehen könnte, östlich der Elbe verloren ginge.

Wissen Sie, wenn Sie die größte Filmstiftung des Landes betreiben und das nicht ganz talentlos machen, sind Sie solchen standortpolitischen Vorhaltungen ausgsetzt. Wir haben die Filmstiftung NRW in gerade mal zwei Jahren so zügig aufgebaut, daß sie bereits auf dem Markt agiert, der noch vorhanden ist. Nun ärgern sich anderswo die Leute, wenn hier die Post abgeht. Gerade in Berlin ist das alles ein wenig komplizierter, natürlich auch aus historischen Gründen. Aber wenn meine Berliner Freunde meinen, mich weiter beschimpfen zu müssen, kriegen sie beizeiten eins auf die Mütze.

Im vorab auf einen SPD-Wahlsieg im nächsten Jahr hat sich inzwischen Peter Glotz als künftiger „Medienminister“ ins Gespräch gebracht. Wie er machen sich auch andere SPD-Politiker für ein Medienzentrum Babelsberg stark.

Babelsberg steht ja noch nicht; das muß erst mal gemacht werden. Aber ich find's prima, wenn sich die Politik so eindeutig hinter einen Standort stellt – so entschlossen wie bei uns in NRW.

Das Gespräch führten

Peter Hanemann

und Wolfgang Hippe

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