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■ Im Zoo der wilden WichserDie Fachwelt verschweigt es schamhaft: Auch das liebe Vieh, schätzt die Onanie. Der Elefant besorgt sich's mit dem Rüssel, Delphine rubbeln an Torpedos

Gebannt starren die Kinder auf die brünstig angeschwollenen Schamlippen. „Was macht der Affe da?“ fragen sie ihre Eltern im Menschenaffenhaus des Frankfurter Zoos. Doch die wollen nicht antworten, sondern unbedingt weitergehen. Dabei wäre die Antwort ganz einfach: Die Schimpansin nutzt einen vom Wärter beiseite gelegten Wasserschlauch, um zu masturbieren – die Beine über dem dünnen Strahl gespreizt, reibt sie ihre Vulva. Und sie hat offensichtlich Spaß daran.

Schließlich schaffen es die Eltern, ihre Kinder wegzulocken. Es nützt ihnen nichts. Im übernächsten Käfig ist ein Zwergschimpansenweibchen ebenfalls mit ihrem Kitzler beschäftigt und steckt sich obendrein einen Finger in den Enddarm. Fraglich, ob diese Eltern so schnell wieder einen Zoobesuch vorschlagen.

Denn obwohl heute in allen Fernsehprogrammen über Sex gesprochen wird, ist vielen das Thema Masturbation weiterhin peinlich. Bei einer Allensbach- Umfrage gaben 39,7 Prozent der Deutschen an, nie zu onanieren, 25,6 Prozent machten gleich gar keine Angaben. Und das, obwohl die Befrager angewiesen waren, beim Ankreuzen wegzuschauen und den Fragebogen im verschlossenen Umschlag entgegenzunehmen. Immerhin halten 84 Prozent der jüngeren Deutschen Selbstbefriedigung für eine ganz normale Sache. Dabei bekommen sie Schützenhilfe aus der Naturwissenschaft, denn ein Blick in das Tierreich beweist: Onanie ist nicht nur normal, sondern auch ganz natürlich.

Denn Alberto Moravia irrt, wenn er behauptet: „Die Selbstbefriedigung stellt den einzigen Sexualakt dar, der etwas mit Kultur zu tun hat, weil er ganz aus der Phantasie kommt.“ Und auch Mark Twain unterschätzte die sexuelle Verspieltheit vieler Tiere; er schrieb: „Der Affe ist das einzige Tier, ausgenommen der Mensch, das diese Wissenschaft praktiziert – daher ist er unser Bruder.“ Jeder Hundebesitzer hätte ihn eines Besseren belehren können.

Lange hüllten sich die Biologen in Schweigen über das, was sie in Wüsten, Dschungeln und Savannen beobachten konnten. Sex, so die Lehrmeinung, sei nur dann natürlich, wenn er der Fortpflanzung diene. Was aber tun, wenn die Natur sich unnatürlich verhält? Die Regel ist: Am besten nicht darüber reden.

Mit seinem 1918 erschienenen Werk „Physik der Liebe“ versuchte Remy de Gourmont zwar alle Spielarten tierischen Verlangens zu würdigen, doch die Selbstlust wird in dem 283-Seiten-Buch nur mit ein paar Sätzen abgehandelt. Gourmont berichtet von Hündinnen, die „ihre Vulva am Erdboden wetzen“, und von Hirschen, die ihre „Rute an den Baumstämmen reiben“. Dabei war der französische Essayist alles andere als verklemmt. „Es gibt nichts Widernatürliches“, behauptete er schon damals. Die eigentümlichste sexuelle Verirrung war für ihn die Keuschheit.

Um Keuschheit bemüht sind bis heute viele Tierbücher, in denen immer noch Sexualität mit Fortpflanzung gleichgesetzt wird. Onanie kommt in dem 1953 erschienenen Werk „Das Liebesleben der Tiere“ ebensowenig vor, wie in dem Buch „Die Liebeswelt der Tiere“ von 1927. Obwohl sogar ein Hund beschrieben wird, der sich Hühner „auf sehr geschickte Weise zu seinen Gattinnen machte“. Selbst in Adrian Forsyths zoologischem Liebeslexikon „Die Sexualität in der Natur“ von 1986 erscheint das Stichwort Masturbation nur an zwei Stellen: im Zusammenhang mit Affen.

Eine Sammlung von Onanie- Beobachtungen, die der ehemalige Zoodirektor von Hannover, Lothar Dittrich, 1968 erstellte, kommt nicht ohne moralischen Zeigefinger aus. Sie beginnt mit dem Satz: „Neben normalen heterosexuellen Geschlechtsbeziehungen kann man im Zoo homosexuelles und gelegentlich auch anderes abnormes sexuelles Verhalten, am häufigsten Masturbation, beobachten.“ Als ob die Strafe für solche „Abnormitäten“ auf dem Fuß folgt, nehmen viele der von Dittrich beschriebenen Tiere ein schlimmes Ende.

Ein Affenweibchen machte „einen gestörten, fast kranken Eindruck“, ein anderer Affe „magerte sehr stark ab und starb schließlich“, ein halbwüchsiger Kudu ist „bald danach tödlich verunglückt“, ein onanistischer Ameisenbär „starb schließlich an Entkräftung“, und die Hoden eines sündigen Elefanten waren „völlig degeneriert“.

Erst eine neue Generation von Wissenschaftlern nähert sich dem Thema so unbefangen wie der Dichter Robert Gernhardt mit seinem berühmten Zweizeiler: Der Kragenbär, der holt sich munter, einen nach dem andern runter. Wobei Gernhardt in der dazugehörigen Zeichnung die manuellen Fähigkeiten von Bären überschätzte, die Biegsamkeit der Wirbelsäule aber unterschätzte. Nicht mit der Tatze, sondern mit der Schnauze befriedigt sich der Bär.

Der Anthropologe und Verhaltensforscher Volker Sommer, der 1990 das erste Standardwerk über Homosexualität im Tierreich verfaßte, arbeitet an einem Buch über tierische Autoerotik. Er hat sich damit ein weites Feld vorgenommen. Sex an und für sich ist bei Känguruhs, Walen, Giraffen, Tauben, Wellensittichen und Hunderten weiterer Tiere beobachtet worden. Dieses große Artenspektrum läßt vermuten, daß sich die gesamte höhere Fauna gelegentlich dem eigenen Genital zuwendet.

Die Methoden stehen im Einfallsreichtum den menschlichen Praktiken in nichts nach. Zoodirektor Dittrich beschreibt zwei junge Orang-Utan-Weibchen, die „ihr Genitale gegen die aus dem Gitterwerk vorstehenden Schweißkuppen rieben“. In Grzimeks Enzyklopädie wird von wilden Nubischen Steinböcken berichtet, die sich die eigene Penisspitze in den Mund stecken. Den gleichen Trick beherrschen weibliche Fleckenhyänen mit ihrer riesigen Klitoris. Ein Nashornbulle wurde dabei beobachtet, wie er sich sein Glied klatschend gegen den Leib schlug, bis er ejakulierte.

Elefantenbullen besaugen ihr Genital mit dem Rüssel. Die Weibchen dagegen suckeln an ihren zwischen den Vorderbeinen gelegenen Zitzen und schlagen sich gleichzeitig mit dem Schwanz auf die Vulva. Von den Delphinen, die die US-Navy zum Bergen von Torpedos einsetzt, wird berichtet, daß sie ihr Geschlechtsteil an den Unterwasserwaffen rieben. Die ausgefeilteste Technik besitzen unsere engsten Verwandten: Schimpansinnen können sich Holzstückchen paßgenau zurechtbeißen, um sie in die Scheide einzuführen. Prinzipiell scheint die Regel zu gelten: Jeder nach seinen Bedürfnissen, jeder nach seinen Möglichkeiten.

Die meisten zoologischen Masturbationsbeobachtungen stammen von Säugern oder Vögeln. Das Verhalten dieser hoch entwickelten Tierklassen ähnelt in vielen Facetten dem menschlichen. Bei Affen beiderlei Geschlechts konnte sogar nachgewiesen werden, daß sie einen Orgasmus haben. Die Forscher maßen die Hirnströme und die Muskelkontraktionen. Sogar Laien können die Lustgefühle von Primaten einfach erkennen: Wenn eine Bärenmakake den Höhepunkt erreicht, bebt der Körper und der Mund formt ein „O“.

Obwohl die meisten Berichte aus Zoos und Laboren stammen, ist eines sicher: Selbstbefriedigung ist keine Knastneurose. Biologen gehen heute davon aus, daß alle Verhaltensweisen, die in Gefangenschaft registriert werden, auch in freier Wildbahn vorkommen. Nur die Häufigkeit der Masturbation mag durch das Zooleben, wo die Tiere sich nicht mehr um ihr Fressen kümmern müssen, gefördert werden.

Glaubt man den gesammelten Daten, so machen es Weibchen seltener als Männchen. Ein ähnliches Bild erbrachten Umfragen unter Menschen: Etwa zehn Prozent weniger Frauen als Männer gestehen ein zu masturbieren. Bei beiden Ergebnissen ist fraglich, ob sie wirklich die ganze Wahrheit ans Licht bringen. Viele Männer prahlen eben gern mit ihrer Sexualität. Viele Frauen dagegen neigen zum Herunterspielen ihres Trieblebens.

Was die Tiere betrifft, muß einkalkuliert werden, daß jeder Beobachter auffälliges Verhalten eher registriert als unauffälliges. Männliche Geilheit ist durch den erigierten Penis gekennzeichnet, der sich kaum verbergen läßt. Die Ejakulation zeigt den Höhepunkt an. Ein weibliches Tier jedoch kann sich ein stilles Glück verschaffen, indem es auf dem Boden herumrutscht oder das Hinterteil an einen Baumstamm reibt. Beides ist nicht unbedingt als sexuelle Handlung erkenntlich.

Überhaupt ist Selbstbefriedigung keine Praxis, die genau eingegrenzt werden könnte. Der eine rubbelt alleine, weil er keine Partnerin findet, die andere streichelt sich, weil sie gerade keinen Partner will. Affenpaschas wurden gesehen, die, umgeben von ihrem sexwilligen Harem, genüßlich onanierten. Paare gleichen oder unterschiedlichen Geschlechts masturbieren voreinander und helfen sich gelegentlich dabei. Experte Volker Sommer: „Es ist ein Komplex in einem Kontinuum von allen möglichen sexuellen Äußerungen, von denen 99,9 Prozent nicht zu einer Befruchtung führen.“

Die Soziobiologie lehrt jedoch, daß nur solches Verhalten sich in der Evolution durchsetzt, das den Individuen einen Fortpflanzungserfolg verschafft. Schwer vorstellbar, wie Onanie bei der Fortpflanzung dienlich sein könnte – sie ist es aber doch, wie Wissenschaftler herausgefunden haben. Wenn ein Männchen masturbiert, ist der Samen beim nächsten Geschlechtsverkehr frischer. Jüngere Spermien sind erfolgreicher, wenn im Körper eines Weibchens Samen von mehreren Partnern in Konkurrenz treten. Der Onanist verschafft seinen Spermien also einen Startvorteil beim Zielschwimmen auf das Ei, behaupten die britischen Biologen Robin Baker und Mark Bellis.

Auch weiblichen Wesen verschafft die Selbstbefriedigung gesteigerte Vermehrungschancen: Sie halten ihre Scheidemuskeln fit und ihre Vaginalsekrete frisch. Das ist sehr nützlich, denn der weibliche Körper bestimmt, welcher Samen das Ei befruchten darf. Die Vorstellung von Spermien, die ein Ei erobern, ist eine männliche Wunschphantasie. Sie ist genauso falsch wie das langgehegte Vorurteil, männliche Tiere (und auch Männer) würden sich Weibchen (bzw. Frauen) aussuchen. In Wahrheit wählen die Weibchen, und die Eizellen ziehen die Spermien an, um sie förmlich einzusaugen.

Außer dem Trainingsaspekt kann die Masturbation dem weiblichen Wesen einen weiteren Vorteil verschaffen. Baker und Bellis fanden heraus, daß Frauen, die im Abstand von einigen Tagen mit zwei Partnern verkehren, durch Onanie beeinflussen können, welcher Samen sie befruchtet. Trägt die Frau beispielsweise Spermien vom Montag in sich, masturbiert am Mittwoch und hat am Freitag einen neuen Liebhaber, dann bewirkt die mittwöchliche Übung, daß die alten Samen des ersten Partners reaktiviert werden und die des zweiten kaum eine Chance zum Befruchten haben.

Darüber hinaus kann Onanie auch soziale Vorteile bringen. Ein gutes Beispiel dafür sind die Zwergschimpansen, auch Bonobos genannt. Sie führen ein ausschweifendes Sexualleben, zu dem auch alle Formen der Masturbation gehören. Der Verhaltensforscher Frans de Waal sieht darin den Grund für ihr überaus friedliches Sozialleben. Ihre Brüder, die Schimpansen, sind viel weniger lustbetont, dafür aber wesentlich aggressiver.

Doch jenseits der soziobiologischen Theorie und des darwinistischen Konkurrenzdenkens kann den Tieren die Masturbation einfach Spaß machen. Lothar Dittrich berichtet von einer Hulman-Äffin, die ungezählte Male am Tag Hand an sich legte und beim Höhepunkt „fast anfallartige, krampfartige Erschütterungen des ganzen Körpers anzeigte“.

Der Zoodirektor schließt die Beschreibung des sexbesessenen Tieres mit einem Vergleich, der jedem Onanie-Genießer aus dem Herzen spricht: „Einen Orgasmus solcher Intensität erleben bei der normalen Paarung weder die Hulmans noch andere Affenarten.“ Michael Miersch

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