piwik no script img

Militärische Spionagefotos für jedermann

■ Satellitenfotos aus Geheimarchiven werden auf dem Weltmarkt gehandelt

Köln (dpa) – Angesichts der militärischen Entspannung zwischen Ost und West spielen supergeheime Aufklärungssatelliten nicht mehr eine so wichtige Rolle wie früher. Rußland verkauft bereits seine schärfsten Spionagefotos mit einer Auflösung von bis zu fünf Metern. Die USA hingegen zögern noch mit der Freigabe von Bildmaterial ihrer Big Bird-Satelliten, die sogar nur einen Meter große Gegenstände auf der Erde erkennen. Diese Aufnahmen ließen sich auf dem freien Markt hervorragend absetzen, so die Überzeugung vieler Experten.

Nach der Öffnung der geheimen Satelliten-Bildarchive in Rußland geraten die Amerikaner allmählich unter Zugzwang, auch ihre Bestände wenigstens teilweise offenzulegen. Das könnte einerseits als Signal für den Willen zu weiterer politischer Entspannung gewertet werden, andererseits gibt es auch in den USA wirtschaftliches Interesse an solchen detailreichen Erdbildern. Die Militärbürokratie im Pentagon hat viele hunderttausend Filme, Bilder und Magnetbänder unter Verschluß. Unternehmen drängen jetzt auf eine Lockerung der sehr strengen Geheimhaltungsvorschriften, die noch kein Bild eines solchen amerikanischen Big Bird- oder Keyhole-Satelliten in die Öffentlichkeit gelangen ließen.

Vor einem Jahr beantragte deshalb die World View Imaging Corporation in Oakland, Kalifornien, beim US-Handelsministerium eine Betreiberlizenz für einen kommerziellen Satelliten, der noch Objekte von drei Metern Größe zeigen soll. Außerdem stellte vor wenigen Monaten die Lockheed Missile and Space Corporation einen Antrag zum Bau eines zivilen Aufklärungs-Satelliten, der Erdbilder mit nur einem Meter Auflösung liefert.

Das nötige Know-how hat das Unternehmen allemal – es baut seit Jahrzehnten die militärischen Aufklärungssatelliten der USA.

Die Lockheed-Experten meinen, daß ein solcher Satellit praktisch den Weltmarkt für Luftbild- Fotografie erobern könnte, dessen jährliches Finanzvolumen auf etwa zwei Milliarden US-Dollar geschätzt wird. Entsprechende Bilder sollen vor allem in den Ländern der Dritten Welt zur Landschafts- und Städteplanung, zur Bauvorbereitung für Straßen, Kanäle und Bahntrassen eingesetzt werden. Noch steht diesen Plänen in den USA die strenge Gesetzgebung entgegen, die das Ausführen von Satellitenbildern mit einem Auflösungsvermögen besser als fünf Meter untersagt.

Eine andere Möglichkeit, zu schärferen Erdaufnahmen zu kommen, bestünde für die Amerikaner in der Ausrüstung ihres nächsten „Landsat-7“-Trabanten, der frühestens 1997 startet, mit einem hochauflösenden Sensor. Grundlage dieser Pläne ist ein Erlaß der US- Regierung, wonach das bislang zivile Landsat-Programm aus Kostengründen künftig auch militärische Belange wahrnehmen soll.

Die Anregung auf diesen Schritt kommt übrigens von den US-Militärs, die dringend nach einem neuen Satelliten suchen, der auch Stereoansichten und sogenannte Multispektral-Bilder liefert, wie man sie zur Herstellung genauer Höhenreliefs einer Landschaft und zur Analyse von Vegetationen und geologischen Strukturen benötigt. Der Landsat-Trabant vermag das nur mit etwa dreißig Meter Auflösung, und die superscharfen amerikanischen Aufklärungssatelliten haben keine Multispektral- oder Stereokapazität.

Deshalb nutzten die US-Militärs während des Golfkrieges 1991 vorwiegend die bis zehn Meter scharfen Bilder der französischen Spot-Satelliten mit ihren sechzig mal sechzig Kilometer großen Erdausschnitten zur Erstellung der Einsatzkarten für die Bodentruppen und Luftwaffenpiloten.

Um den aktuellen Engpaß bei hochauflösenden Erdbildern zu überwinden, will jetzt ein amerikanisches Unternehmen russische Satelliten-Fotos auch des nordamerikanischen Kontinents kaufen, die von den Militärs zu Spionagezwecken aufgenommen worden waren. Die Firma Space Liaison in San Diego kam mit dem Moskauer Betrieb Sovinform-Sputnik überein, künftig Schwarzweißbilder der Erdoberfläche mit zwei Metern Auflösung in den USA zu vertreiben. Das Moskauer Unternehmen hat Zugriff auf alle russischen Satelliten-Aufklärungsbilder der letzten dreißig Jahre, deren Schärfe fast so gut sein dürfte wie die amerikanischen Spionagefotos von Keyhole-Satelliten. Wolfgang Engelhardt

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen