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Irans Staatsräson liegt Paris am Herzen

■ Zwei in Frankreich festgenommene mutmaßliche Mörder des iranischen Oppositionellen Kazem Radjavi wurden im „nationalen Interesse“ freigelassen

Paris (taz) – „Nein, wir haben damit gar nichts zu tun“, versicherte gestern die iranische Botschaft in Paris. Die Freilassung von Ahmad Taheri und Mohsen Sharif Esfahani sei von der französischen Regierung ganz allein entschieden worden. Die beiden Agenten des Teheraner Regimes, denen eine Beteiligung am Mord des prominenten iranischen Oppositionellen Kazem Radjavi in Genf vor nahezu vier Jahren vorgeworfen wird, weilten längst in Sicherheit: Bereits Ende vergangener Woche waren sie Richtung Iran abgereist. Die Pariser Regierung hatte sie ziehen lassen. Als einzige Begründung, die beiden nicht wie vereinbart an die Schweiz auszuliefern, nannte das Büro des Premierminister Edouard Balladur ein nicht näher erläutertes „nationales Interesse“.

In der Schweizer Hauptstadt Bern stieß die Freilassung, die Balladur persönlich verfügt hatte, auf völliges Unverständnis. Sie sei „ein eklatanter Verstoß gegen internationales Recht“, heißt es in einer Protestnote. Gleich nach der Festnahme von Ahmad Taheri und Mohsen Sharif Esfahani im November 1992 in Paris hatte die Schweiz die Auslieferung der beiden beantragt. Die französische Justiz billigte diese im Februar vergangenen Jahres und im November war Bern offiziell von Paris über die bevorstehende Überführung der beiden Iraner informiert worden. Da sowohl die Schweiz als auch Frankreich die europäischen Konventionen über gegenseitige Auslieferungen (1957) und über die Terrorbekämpfung (1977) unterzeichnet haben, schien die Auslieferung nur noch eine Routinesache zu sein. Beim Schweiz-Besuch von Präsident François Mitterrand im Dezember wurde das Thema nicht einmal mehr angesprochen.

Dreizehn Mörder mit Diplomatenpässen

Der Mord an Radjavi geschah am 24. April 1990 in Coppet bei Genf. An dem Tag wurde der Bruder des Chefs der iranischen Oppositionsgruppe „Volksmudschaheddin“ und ehemalige UN-Botschafter seines Landes in einer minutiös vorbereiteten Aktion auf offener Straße erschossen. Nach Schweizer Ermittlungen waren mindestens 13 Personen an dem Attentat beteiligt. Sie alle reisten mit Diplomatenpässen und per Direktflug aus Teheran an. Ihre Flugtickets hatten 13 direkt aufeinanderfolgende Nummern. In allen 13 Pässen stand dieselbe Adresse: Karim Khan Straße 80, Teheran.

Trotz der umfassenden Dossiers blieb die internationale Fahndung nach den in den Iran zurückgereisten Attentätern lange erfolglos. Erst im November 1992 tauchten zwei von ihnen – möglicherweise mit einem neuen Mordauftrag in der Tasche – in Paris auf. Ihre Verhaftung galt als großer Erfolg.

In der Zwischenzeit haben sich die französisch-iranischen Beziehungen wieder einmal verschlechtert. Teheran, mit dem Frankreich einst große Industrie- und Waffengeschäfte betrieb, verschärfte seinen Druck, als Frankreich im vergangenen Herbst der Gattin des Chefs der „Volksmudschaheddin“, Maryam Radjavi, und rund 200 anderen wichtigen iranischen Oppositionellen Asyl gewährte. Auch der in Paris bevorstehende Prozeß gegen die Mörder des früheren iranischen Regierungschefs Shapur Bakhtiar belastet das Verhältnis. Im November vergangenen Jahres kam es zu Bombenattentaten auf die französische Botschaft und das Büro von Air France in Teheran. Gleichzeitig drohte ein iranischer Politiker mit einer weiteren Verschlechterung der Beziehungen, „falls das Problem Maryam Radjavi nicht innerhalb der nächsten Wochen gelöst wird“.

Mit der Freilassung der beiden mutmaßlichen Mörder versucht Paris jetzt offenbar, Teheran zu beschwichtigen. Regierungschef Balladur, heißt es, will um jeden Preis Attentate verhindern. Iranische Oppositionelle in Frankreich bezeichneten die Freilassung als „Katastrophe“. Sie sei eine „regelrechte Aufforderung, weitere Oppositionelle im Exil zu ermorden“. Möglicherweise bereiten sich Ahmad Taheri und Mohsen Sharif Esfahani in Teheran schon auf neue Attentate vor. Dorothea Hahn

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