: Volksfürsorge
■ "Thema: Aids" als Ausstellung im Hagener Osthaus-Museum
„Let's talk about Aids“: Wer von Sex spricht, kann über die Immunschwäche nicht schweigen, sagten sich Salt 'n' Peppa und produzierten einen volksaufklärerischen Remix ihres Hits. Ganz automatisch perlen die Assoziationsketten beim Thema Aids: Benetton und Schwulsein, Blutspenden und Kondome, Fixer und Bangkok, Gender Trouble und Aktivismus. Auch im Kontext der Kunst wird über die Krankheit geredet: Mapplethorpe-Debatte, Rückkehr der Körperkunst, dazu Ausstellungen wie „Post Human“, ein neues Interesse an den Wiener Selbstzerstücklern, Abject Art – alles wird mittlerweile subsumiert unter dem Oberbegriff „im Zeitalter von Aids“.
Die Organisatoren Kim Levin, Michael Fehr, Clemens Krümmel, Markus Müller und Birgit Schulze verhindern mit „Thema: Aids“ das Auftreten von Lücken, wie sie in vorangegangenen Aids-relevanten Ausstellungen aufgetreten sind. Einmal verknüpfen sie die Präsentation mit lokalen Initiativen (Aids-Hilfe Hagen, Comic-Büchertische, Schulaufklärung, Jugendpressekonferenz, Benefizdisko, Plakatwettbewerb, etc.), zeigen Poster als Serien (und nicht als Unikate) und verbinden hiesige mit internationalen Kampagnen (ein norwegisches Plakat präsentiert Weltenbummlern die jeweiligen nationalen Kondompackungen und wo man sie erhält; hinzu kommen zahlreiche Poster aus Afrika und Asien). Andererseits sollte die Ausstellung am Welt- Aids-Tag ausgerechnet in Anwesenheit des Bundesministers für Gesundheit eröffnet werden – der dann doch nicht kam. Angesichts seiner Pläne, das Bundesgesundheitsamt zu zerschlagen, wäre er sicherlich auf keine allzugroßen Sympathien gestoßen.
Die umfangreiche Hagener Präsentation bezeichnet sich als die „erste große Ausstellung mit dieser Thematik im Rahmen eines deutschen Kunstmuseums“, wobei die Institution hier als gesellschaftlicher Resonanzkörper und Multiplikator dienen soll. Die Problematik Aids wird, anders als etwa der Ansatz von „Über-Leben“ im Bonner Kunstverein, aus dem privaten Feld des individuellen Leidens herausgelöst.
Statt dessen fügt die Ausstellung Aids-bezogene Kunst, Videos, eine Dia-Show („Electric Blanket“), Aktivisten-Poster, staatliche Aufklärungsplakate mit einem Katalog in Zeitungsform und einer Info-Ecke der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zusammen. Die finanziellen Förderungen der staatlichen Organe (Bundeszentrale, NRW- Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales, Deutsche Aids- Stiftung) spiegeln sich in einigen Kommentaren wider: Der Hagener Leitartikel von Svein-Erik Ekeid beschwört im Katalog das „wir der Weltgemeinschaft“, das der „universellen Bedrohung“ durch Aids entgegenstehen sollte, da sonst „gewaltige (und gewalttätige) politische Umwälzungen“ drohen. Weiterhin schreibt Ekeid vom Irrglauben, daß schon ein „normaler sozialer Umgang“ ansteckend sei, und somit jeder Infizierte als anormal („gefährliches oder unkonventionelles Sexualleben oder Drogenmißbrauch“) gelte. Der leitende Mitarbieter der Weltgesundheitsorganisation WHO sieht darüber hinaus „im Zusammenhang“ mit Aids „effektive Kosten“ (weltweit zehn Milliarden Mark für Pflege im Jahr 1992, verlorene produktive Lebensjahre) und benutzt den Jargon der Politik, die nach Mölln Ausländer in Deutschland als nützliche Renten- und Steuerzahler schmackhaft macht: „HIV-Vorbeugung ist kein Verlustgeschäft, sondern eine Investition in die Zukunft.“
In ihrem gleich anschließenden Textbeitrag wehrt sich die New Yorker Kuratorin Kim Levin gegen eben genau diese Form von Aidspeak. Sie sieht in der konzeptuellen Umnutzung öffentlicher Bilder durch Künstler ein Instrumentarium, sich gegen den medizinisch-politischen Komplex der sexuellen Normierung und gesellschaftlichen Viktimisierung zur Wehr zu setzen und referiert aus Brian Turners 1984 erschienenem Buch „Körper und Gesellschaft“: „1. Krankheit ist eine Sprache. 2. Der Körper ist eine Darstellung. 3. Medizin ist eine politische Praxis.“
Im Osthaus-Museum sieht man dazu auf Frank Moores Ölbild „Arena“ einen medizinischen Hörsaal zwischen Labyrinth und Parlament. Gerippe deuten lehrmeisterlich auf Virenmodelle, in einer Ecke wird meditiert, und der Rest schaut zu. Erst durch einen Seiteneingang drängende Demonstranten stören mit ihren Schildern den Betrieb. Auf dem Ölbild „Hospital“ mit kunstvoll vereistem Rahmen jagt ein Arzt mit einem Speer nach dem Virus. Moores Pop-Geschichten demonstrieren in der naiven Darstellung eingefrorener Dollarscheine, daß Forschungsgelder fehlen und zugleich der Pharmaindustrie potentielle Gewinnströme in Milliardenhöhe bevorstehen.
Weiterhin liegt das Thema Aids volksfürsorglich ausgebreitet: Über zehn Jahre nach Entdeckung des HIV-Virus kann Engagement sich nicht mehr in der Botschaft erschöpfen, daß Kondome schützen, denn selbst auf dem weihnachtlichen Eishockeyfeld von Eurosport prangt vierfach „Stop Aids“ mit einem stilisierten Pariser als O. Das ungerichtete Interesse von Aufklärung und Information – „Gib Aids keine Chance“ – unterbindet einen erweiterten Blick; jede Facette löst sich im Diffusen des Zusammentragens auf. Vielmehr gelte es in Zukunft, das Wolkige der Themen weiter zu strukturieren und Positionen zu besetzen: Welches Verhältnis besteht zwischen „Aids- Kunst“ und einer häufig synonym gesetzten schwulen Selbstpräsentation? Wie artikulieren sich Junkies? Inwiefern ist „Medizin eine politische Praxis“, und wo sind Ansätze, dort einzugreifen? Weiterhin fehlen Hinweise auf die Geschichte anti-institutioneller Organisationen jenseits der New Yorker Act-Up-Aktivisten. So gründete sich im Zuge von Praunheims Film „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ in den siebziger Jahren die militante „Homosexuelle Aktion Westberlin“. Diesen Hinweis verdanke ich dem Gastaufenthalt des Archivs „Schwules Museum Berlin“ in der Kölner Galerie Lukas & Hoffmann. Dort zog man es übrigens vor, am Welt-Aids-Tag den Betrieb geschlossen zu halten. Jochen Becker
Bis 9. Januar. Die Ausstellungszeitung kostet fünf Mark, davon gehen zwei Mark an die Aids-Hilfe Hagen e.V.
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