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Vom Himmel herabgestiegen

Japans Bürokraten haben die Wirtschaft im Griff / Mit 50 Jahren werden sie vom Miti in die Niederungen der Betriebe hinabgeschickt  ■ Aus Tokio Georg Blume

Die Planwirtschaft hat überall im Osten Schiffbruch erlitten. Nur in Japan hat sie gesiegt: Tatsächlich ist das Land nach dem Zusammenbruch im Zweiten Weltkrieg unter Führung der staatlichen Bürokratie zu ungeahntem Wohlstand gekommen. Erst jetzt wollen die Politiker, angetrieben vom neuen Premier Morihiro Hosokawa, die Allmacht der Beamten beschneiden. „Früher mußte unsere Demokratie gegen den Kommunismus kämpfen, jetzt muß sie noch den Bürokratismus besiegen“, fordert der Parlamentsabgeordnete Banri Kaieda, ein enger Berater Hosokawas. Einen ersten Sieg haben die Reformer bereits errungen. Anfang Dezember konnte die Regierung die Öffnung des japanischen Reismarkts im Rahmen des Gatt bekanntgeben. Damit ist ein Symbol uneingeschränkter Bürokratenmacht gefallen. Geht damit in Japan eine Epoche ihrem Ende entgegen?

„Was gut für die Industrie ist, ist auch gut für Japan“, lautete jahrelang die Marschroute des japanischen Wirtschaftsministeriums Miti (Ministry of International Trade and Industry). Eine Idee, so kritisiert Naohiro Amaya, ehemaliger Staatssekretär im Miti, die ihre Parallele in der Vergangenheit hat. Im Zweiten Weltkrieg rechtfertigten Nippons Generäle ihr Schreckensregiment mit dem Spruch: „Was gut für die Infanterie ist, ist auch gut für Japan.“

Ihre quasimilitärische Doktrin entlehnte die japanische Beamtenschaft im vorigen Jahrhundert dem preußischen Vorbild. Damals sah sich Japan, wie Deutschland, vor eine Aufholjagd gegenüber den Industriemächten England und Amerika gestellt. Deshalb befürworteten die japanischen Reformer unter Kaiser Meiji (1868 bis 1912) eine starke Regierung mit einer treuen Beamtenschaft. „Die Bürokraten betrachteten sich als Diener des Kaisers“, erklärt Naohiro Amaya. „Als dann unter dem nächsten Kaiser Taisho die politischen Parteien entstanden, wollten sich die Beamten ihnen nicht unterordnen.“

Nach der Kapitulation war die Bürokratie die einzige Struktur, die den Krieg weitgehend unbeschadet überlebte, und schon bald feierte das Miti seine größten Erfolge. Denn es waren nicht vorrangig die japanischen Unternehmer, die die Weichen für den Wirtschaftsboom stellten, sondern die Beamten in ihren Tokioter Ämtern. Zuerst legte die Wirtschaftsbehörde das Schwergewicht auf die Stahlindustrie und bewerkstelligte die Fusion der Stahlgiganten Yawata und Fuji Steel zur Nippon Steel. In den sechziger und siebziger Jahren setzte sie auf die Autoindustrie und bediente Firmen wie Mitsubishi, Toyota oder Mazda über die Miti-eigene Japan Development Bank mit Krediten zu Vorzugsbedingungen, vergab Bauland und organisierte Spitzengespräche unter den Automobilgiganten, in denen der globale Markt aufgeteilt wurde. Schließlich gelang den Planwirtschaftern Ende der siebziger Jahre dank eines gemeinsamen Forschungsprojekts mit Elektronikkonzernen wie NEC, Hitachi und Matsushita der Durchbruch auf dem Speicherchipmarkt. Das Quasimonopol aus dieser Zeit blieb bis heute nahezu intakt.

Nach diesen Erfolgen, die dem Land Devisen und Wohlstand brachten, haben die Ministerialbeamten voll auf die Hochtechnologie gesetzt und zu diesem Zweck in Tsukuba, 50 Kilometer nördlich von Tokio, eine riesige Forschungsstadt aus dem Boden gestampft. Das Geld für das Projekt hatte man dem Miti-Fonds „Promotion von Technologien“ entnommen, der alljährlich über eine Milliarde Mark vergibt.

Das neueste Zukunftsprojekt, das die Miti-Beamten ausgeheckt haben, heißt „Soft Park“, ein Forschungszentrum für Informationstechnologie. Dort will man den derzeitigen Rückstand japanischer Firmen im Bereich der Mikroprozessoren aufholen, den man im letzten Jahr mit Schrecken entdeckt hatte. Doch nicht nur mit ihren ruhmreichen Projekten, sondern auch über informelle Kontakte haben die Miti-Leute die Unternehmen fest im Griff. In der Regel verlassen die Spitzenbeamten im Alter von 50 Jahren das Ministerium und wechseln auf einen wohldotierten Posten in der Privatwirtschaft. Dort sind diese sogenannten Amakudari – zu deutsch: „die vom Himmel Herabgestiegenen“ – mit der Aufgabe betraut, die informellen Kontakte zu den Behörden aufrechtzuerhalten und den direkten Zugang zum Wirtschaftsminister zu sichern.

Wie grotesk innig sich das Verhältnis zwischen Bürokraten und Unternehmern dabei entwickeln kann, durfte vor wenigen Wochen ein Taxiunternehmen in Kioto erfahren, als ihm gestattet wurde, die im ganzen Land vom Ministerium festgelegten Tarife zu senken. Als seine Konkurrenten das gleiche beanspruchten, blockten die Beamten in Tokio ab. „Wir wollen verhindern, daß die Unternehmen rote Zahlen schreiben“, lautete die lakonische Begründung des Ministeriums.

Solche Arroganz der Bürokraten hat die neuen Herren in der Regierung vergrämt. „Die Fähigkeit der Bürokraten, ein klares Ziel wie den Wiederaufbau in der Nachkriegszeit zu verfolgen, ist sehr groß“, kritisiert Ex-Staatssekretär Naohiro Amaya ganz im Sinne der neuen Machthaber. „Aber ihre Fähigkeit, der Nation neue Ziele zu setzen, ist eher gering.“ Das Umdenken hat den Apparat bereits eingeholt. Anfang Dezember ergab eine Umfrage der Wirtschaftszeitung Nihon Keizai unter 300 leitenden Ministerialbeamten, daß 82 Prozent mehr Distanz der Bürokratie zu privaten Firmen befürworten, 43 Prozent den Parteien den Vorrang bei politischen Entscheidungen einräumen und 89 Prozent einen insgesamt kleineren Regierungsapparat für sinnvoll hielten. Tsuneo Iida, Professor am Japanischen Kulturinstitut in Tokio, kommentiert knapp: „Die Politik des Miti ist am Ende.“

Schon ist der noch Anfang der 90er Jahre lautstark verkündete Miti-Plan, Japan zur „Supermacht für Lebensqualität“ auszurufen, zur Makulatur verkommen. „Die Japaner erwarten kein schnelles Wachstum mehr. Deshalb gewinnen Verbraucherprogramme und Deregulierung in der Bevölkerung immer größere Unterstützung“, räumt ein Staatssekretär im Finanzministerium ein. Die Botschaft des Bürokratenkönigs läßt kaum Zweifel am Ausmaß der Veränderungen: „Wir Beamte müssen uns den wechselnden Umständen anpassen. Unsere Beziehungen zu den Politikern haben sich seit dem Regierungswechsel geändert. Wir sollten deshalb aber nicht von einem Konflikt sprechen. Flexibilität war immer eine Stärke der Bürokratie.“

Tatsächlich diktiert der nach dem Generalsekretär der Erneuerungspartei, Ichiro Ozawa, benannte „Ozawa-Plan“ den Bürokraten ein neues Verhältnis zur Politik. Ozawa gilt derzeit als der einflußreichste Politiker im Schatten von Premier Hosokawa. Staatssekretären, die es bisher gewohnt waren, ihre Gesetzespläne den Abgeordneten im Parlament vorzustellen, will Ozawa dort Redeverbot erteilen.

Zudem sollen jedem Staatssekretär in Zukunft mehrere Abgordnete zugeordnet werden, damit die Politik direkten Zugriff auf alle Anweisungen der höchsten Beamten hat. Der Staatssekretär des Planungsministeriums, Toshiyuki Masujima, wurde daraufhin am 25. Oktober bei Ozawa vorstellig und erhob Einspruch im Namen aller Ministerien. Ozawa aber machte den außergewöhnlichen Vorgang zur Pein der Beamtenschaft öffentlich.

Das ungewöhnliche Transparenzbestreben der neuen Regierung gibt vor allem ausländischen Firmen Hoffnung. Noch im September übergab Premier Hosokawa einer hochkarätigen Kommission unter Arbeitgeberpräsident Gaishi Hiraiwa die Verantwortung für die Ausformulierung eines Deregulierungsprogramms. Die neue Kommission, die Ende Dezember ihren Abschlußbericht vorlegte, bezog erstmals ausländische Botschaften und ihre Handelskammern in die Beratungen ein. Im Anhang listet der Bericht nun 500 Gesetze auf, die vereinfacht oder abgeschafft werden sollen. Besonders im Finanzdienstleistungsbereich, bei der Produkthaftpflicht und bei den Lebensmittelgesetzen erhoffen sich deutsche Unternehmen nun rasche Erleichterungen für ihr Japan-Geschäft.

Seit dem Krieg ist Morihiro Hosokawa erst der vierte Premierminister, der nicht dem Beamtenstab entstammt. „Es ist an der Zeit, offen einzugestehen, daß Japan zu sehr auf die wirtschaftliche Entwicklung konzentriert war und dabei nicht genug das Wohlergehen jedes einzelnen beachtet hat“, sagte Hosokawa während seiner Regierungserklärung im August. Doch die darin enthaltene Kriegserklärung gegenüber der Beamtenschaft führt die neue Regierung auf unsichers Terrain: Noch glauben die meisten Japaner, daß sie ihren Reichtum nicht den Politikern, sondern einer treuen, nicht korrumpierbaren Staatsdienerschaft verdanken. Damit haben sie wahrscheinlich recht.

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