: Wunderheiler und ein göttliches Fundbüro Von Ralf Sotscheck
Meine Schwiegermutter war verzweifelt: Sie konnte nicht zur Sonntagsmesse gehen, weil sie ihr Gebiß verloren hatte. Das Haus hatte sie mit Hilfe zahlreicher Verwandter bereits mehrmals auf den Kopf gestellt, doch die falschen Zähne blieben unauffindbar. Da besann sie sich auf Tom, den Obdachlosen, der in dem kleinen Nord-Dubliner Park am Ende der Straße wohnte. Sie gab ihm ein Pfund, und er sollte als Gegenleistung zum heiligen Antonius beten. Der ist nämlich für die Wiederauffindung verlorener Sachen zuständig. Doch diesmal versagte das göttliche Fundbüro. Als die Schwiegermutter nämlich nachprüfen wollte, ob Tom auch heftig bete, kam der gerade mit einer Dose Bier in der Hand aus der gegenüberliegenden Kneipe. Zur Rede gestellt, beteuerte er, daß er das Getränk brauche, damit er die Hände zum Beten stillhalten könne. Das leuchtete der Schwiegermutter ein, und sie gab ihm noch ein Pfund. Das beflügelte Tom offenbar: Die Zähne tauchten wieder auf. Sie hatten sich zwischen Armlehne und Polster im Sessel festgebissen.
Die Heiligen sind übrigens nicht nur zur Wiederbeschaffung verschwundener Gegenstände gut, sondern ersparen auch jeden Arztbesuch. Bei Kopfschmerzen hilft der heilige Stephan. Er ist im Jahr 35 zu Tode gesteinigt worden. Stephan weiß also, was es heißt, Kopfweh zu haben. Seine Kollegin Agathe ist die Schutzpatronin der Brüste. Auch ihre Qualifikation ist makellos: Weil sie sich den Zudringlichkeiten eines römischen Konsuls erwehrt hatte, ließ er ihr die Brüste abschneiden. Ihr Wahrzeichen ist seitdem ein Tablett, auf dem zwei Brüste ruhen. Das führte im Laufe der Jahrhunderte jedoch zu Verwechslungen, weil viele Menschen die Brüste für Glocken hielten. So wurde sie auch die Schutzpatronin der Glöckner.
Erasmus verdankt seinen Ruf ebenfalls einem Mißverständnis. Weil er während eines schweren Gewitters unaufhörlich betete, machten ihn die Seeleute, die Unwettern ja besonders ausgesetzt sind, zu ihrem Heiligen. Sein Symbol ist eine Winde, was merkwürdigerweise Gerüchte nährte, wonach man ihm bei lebendigem Leibe die Gedärme herausgerissen habe. Fortan kümmert er sich auch um Darmkoliken. Agathe und Erasmus sind freilich nicht die einzigen Heiligen mit Nebenjobs. Sankt Georg hilft nicht nur gegen böse Drachen, sondern auch gegen Lepra, Pest und Syphilis. Ist man sich bei der Syphilis nicht ganz sicher, sollte man sich vorsichtshalber an Sankt Fiacre wenden, einen Iren, der sich in einer französischen Einsiedelei niederließ und dort im Jahr 710 starb. Er ist hauptberuflich für allgemeine Geschlechtskrankheiten und für Hämorrhiden zuständig. Sein Symbol ist ein Spaten, weil er auch der Schutzpatron der Gärtner ist. Ärzte beten dagegen zu den Zwillingen Sankt Cosmas und Sankt Damian, die sich einen Ruf als Transplantations-Spezialisten erworben haben. Es gibt ein Bild, auf dem sie einem schwarzen Patienten ein schneeweißes Bein annähen. Damals konnte man wohl nicht sehr wählerisch sein. In Anbetracht der abgewirtschafteten Gesundheitssysteme Großbritanniens und Irlands erscheint Beten inzwischen wieder als erfolgversprechende Alternative. Um die Wirkung noch zu verstärken, muß man aber Tom ein Pfund geben – wegen seiner Hände.
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