: Ein teurer Etikettenschwindel
■ Wie die konzertante Lesung „Meschugge vor Hoffnung“ als Theaterstück viel Geld bekam
Nicht überall, wo Theater drauf steht, ist auch Theater drin. So primtiv läßt sich umschreiben, was als mit Spannung erwartete Theater-Premiere am Sonntag in den Kammerspielen vorgeführt wurde. Jüdische Geschichten nach dem Film A Brivele der Mamen von Joseph Green und dem Roman von Israel Joshua Green, sowie eine Kurzgeschichte von Isaac Bashevis Singer, „Ein Herr aus Krakau“, dienten als Vorlage für das „Jewsical“ (welch unappetitliche Bezeichnung) Meschugge vor Hoffnung. Doch statt aus den rührenden Geschichten um Schtetl-Leben, Auswanderung und Assimilation ein Theater zu formen, beläßt es Regisseur Brian Michaels bei einer Konzertlesung: Giora Feidmann und das Mickey Katz Orchester spielen Klezmer und in den Pausen werden Geschichten erzählt, die etwas szenisches Beiwerk erhalten.
Scheiterte ein Inszenierungskonzept im erste Teil vielleicht noch daran, daß die Vorlage selbst dem Regisseur zu melodramatisch war, und dem Unsinn, die verdiente Schriftstellerin Peggy Parnass für die Hauptrolle der „Mamen“ verpflichten zu müssen, was darin endet, daß sie auf dem Bühnenboden sitzt und vorliest, so hätte doch wenigsten Singers Märchen vom Teufel, der ein Schtetl verführt und zerstört, eine Inszenierung erhalten können. Doch Michaels bleibt auch hier seinem statischen Konzept verhaftet, setzt vier Schauspieler an einen Tisch, und läßt sie die Geschichte nacherzählen.
Das ist nicht nur dürftig, sondern überflüssig, wenn man bedenkt, daß diese Inszenierung mit einer Viertelmillion zusätzlicher Subventionen aus der Kulturbehörde bedacht wurde, weil sie angeblich so wichtig für die jüdische Tradition des Hauses sei. Die schlichte Wahrheit ist: Von diesem Geld kommt auf der Bühne nichts an, jüdische Tradition hin oder her. Das Schauspielhaus bringt solche Produktionen nebenbei in der Kantine heraus, und ein paar Proben mit dem Klezmer-Idol Feidman können ja kaum derartig teuer sein.
Obwohl er es natürlich ist, der dem Abend Dimension gibt, denn Feidman spielen zu hören, seinen Klangreichtum zwischen Jazz, Hörspiel, rituellen Schofar-Klängen und Klezmer zu genießen, dem ist wohl niemand abhold. Aber das ist eben nicht mehr als ein Konzert. Und ein Musical ist das schon garnicht, denn dieses zeichnet sich dadurch aus, daß die Handlung in Liedform, wenigstens ansatzhaft temperamentvoll umgesetzt wird.
Sicherlich sind die Geschichten erhaben und schön, das Anliegen, in einer aktuellen Inszenierung die lokale Vergangenheit zu memorieren, ehrenwert, und der Wiederentdeckung des Klezmers nichts entgegen zu setzen, aber Theater ist nun mal Theater und nur deswegen so teuer, weil die menschliche Verkörperung von Literatur so schwierig ist. Diese Konzertlesung betreit hier den reinen Etikettenschwindel.
Till Briegleb
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen