: Grüne Unternehmer ohne Marktrisiko
Heute wird in Berlin die 59. Grüne Woche eröffnet / Vier Jahre nach der Wende ist die ostdeutsche Landwirtschaft dabei, den Westen zu überholen / Ökobauern nur in Nischen ■ Von Niklaus Hablützel
Berlin (taz) – Zu feiern gibt es nichts. Die Grüne Woche, die heute in Berlin eröffnet wird, glänzt mit Höhepunkten wie der „gläsernen Bäckerei“ und dem „Schwein der Zukunft“. Nur wird die Botschaft immer weniger geglaubt. Subventionsgräber (16,7 Milliarden Mark aus Bund und Ländern, 15,5 Milliarden aus EG- Töpfen im Jahr 1992), Umweltschäden und Erosion der natürlichen Artenvielfalt trüben das Image der deutschen Bauern. Der Weg „vom Korn zum Brot“ (Eigenwerbung) ist selbst für Experten dunkel.
Bauer und Bäcker sind Nebenfiguren, Agrarlobyyisten und Chemiefirmen definieren vom Saatgut bis zum Marktdesign, was auf den Tisch kommt. Und ob das Schwein der Zukunft noch viel Ähnlichkeit mit der zoologischen Art gleichen Namens haben wird, muß bezweifelt werden. Schon jetzt können typische Mastschweine in freier Natur nicht überleben, biotechnische Verfahren werden sie vollends zu Fleischmaschinen degradieren.
Doch die „Centrale Marketing- Gesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft“ (CMA) zeigt auf ihrer Grünen Woche auch in diesem Jahr wieder eine Bilderbuchlandwirtschaft, die nicht existiert. Ermüdend gleichförmig beweist die Statistik seit dreißig Jahren ein stetiges Bauernsterben. Auch mittlere Höfe müssen weichen. Die sogenannte „Wachstumsschwelle“ liegt heute in Schleswig-Holstein bei 75 Hektar Nutzfläche, in Bayern bei 30 Hektar: wer darunter liegt, wird den nächsten Konzentrationsschub nicht überleben.
Die Reform der europäischen Agrarpolitik hat diesen Prozeß beschleunigt: Flächenstillegungen und niedrigere Erzeugerpreise zwingen zu weiteren Rationalisierungen. Die besten Böden werden noch intensiver ausgebeutet von noch größeren Agrarunternehmen. Kaum bemerkt von der Öffentlichkeit, ist der „bäuerliche Familienbetrieb“, der für den Allgäuer Bauernpolitiker Ignaz Kiechle noch regelmäßig beschworenes Leitbild war, aus dem agrarpolitischen Programm der Bundesregierung verschwunden. Kiechles Nachfolger, der Agrarökonom und Christdemokrat Jochen Borchert, spricht lieber von „unternehmerischer Landwirtschaft“.
Keine andere Branche allerdings darf auf so viel staatliche Fürsorge rechnen. Großbauern konkurrieren nicht um Verbraucher und Verbraucherinnen, sondern um staatliche Prämien, Ausgleichszahlungen, garantierte Preise und Produktionsquoten. Das System federt jedes Risiko ab und läßt kaum eine Marktnische für Newcomer übrig. Niemand kann heute voraussagen, welche Folgen sich aus dem neuen Gatt- Abkommen ergeben. Doch die schärfste Kritik kommt heute aus dem Osten Deutschlands. 60 Prozent der ländlichen DDR-Arbeitsplätze sind vernichtet, aber seit 1992 nimmt die landwirtschaftlich genutzte Ackerfläche Ostdeutschlands wieder zu. 25.368 Höfe bewirtschaften heute wieder 4,38 Millionen Hektar. Es könnten weit mehr sein, Brandenburgs Ministerpräsident Stolpe hat eine „doppelte Lobby“ ausgemacht: Alteigentümer und Westbauern hätten sich verbündet, um den Ostdeutschen „den Boden zu entziehen.“ Stolpe meint die ehemaligen LPG mit ihren weit über allen westlichen Maßstäben liegenden Betriebsgrößen. Drei Viertel von ihnen hat nur die Rechtsform geändert und verfügt heute über durchschnittliche Ackerflächen von über 1.000 Hektar – 21 Prozent der ostdeutschen Höfe bewirtschaften 96 Prozent des Landes. Und sie nutzen ihren systemkonformen Vorteil. „Betriebe in den neuen Ländern“, so das Bonner Landwirtschaftsministerium, konnten „Einkommenseinbußen“ durch „Senkung der Produktionskosten“ besser ausgleichen als im Westen.
Bauernverbandspräsident Constantin Freiherr von Heeremann klagt, daß die ländlichen Einkommen 1993 um 40 Prozent hinter dem gewerblichen Durchschnitt zurückblieben. Der Ruf nach Subventionen wird nicht verstummen, der Ruf nach freiem Markt auch nicht. Unlauter sind beide. Denn unverändert haben auch 1993 etwa 20 Prozent der Bauern 80 Prozent der Beihilfen kassiert, und das Geld blieb nicht auf dem Land. Über 40 Milliarden Mark sind 1990 in die Kassen der Futtermittel-, Dünger-, Saatgut- und Pestizidproduzenten geflossen. Von jeder Mark, die Deutsche für Nahrungsmittel ausgaben, erreichten gerade 31 Pfennig heimische Bauernhöfe.
Weit besser steht da, wer auf ökologische Landwirtschaft umgestellt hat.
Biohöfe konnten 1991 27,0 Prozent ihres Umsatzes als Gewinn verbuchen, die konventionellen kamen nur auf 23,7 Prozent. Schuld daran sind Solidaritätspreise, die in ökologischen Marktnischen hingenommen werden. Sie spielen volkswirtschaftlich keine Rolle: Gerade nur 0,7 Prozent der Landwirtschaftsfläche werden ökologisch bewirtschaftet.
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