: „Das muß hier alles zügig gehen!“
■ Zu Besuch bei den Flüchtlingskindern auf den Containerschiffen in Neumühlen Von Kaija Kutter
Sport im Kindergarten der Floatel-Altona. Der zwölfjährige Monir hat sich eine Art Circle-Training ausgedacht. Unter den anfeuernden Rufen der übrigen Kids mühen sich die Drei- bis Sechsjährigen, auf einem Dreirad zu sitzen, ohne runterzufallen, spielen die Reise nach Jerusalem, hüpfen auf einer Matte. „Es ist toll, wie Monir mit den Kindern zurecht kommt“, schwärmt die Erzieherin Corinna Jennert.
„Der Chef“, wie Monir von den Erzieherinnen scherzhaft genannt wird, kommt aus Afghanistan und ist seit drei Monaten auf dem Schiff. Er spricht kein Deutsch, dafür aber Russisch, Albanisch und zwei andere Sprachen. Während die deutschen Erzieherinnen sich nur mit Gebärden verständlich machen können, spielt er den Hilfs-Erzieher und Dolmetscher an Bord.
Still und schüchtern lächelnd sitzt eine Mutter im Spielraum auf einem der kleinen Stühle. Es gibt keine Aufenthaltsräume auf der “Floatel Altona“, einem der fünf Flüchtlingsschiffe am Kai von Neumühlen. „Wir brauchen hier einen Mutter-Kind-Raum“, sagt Erzieherin Katrin Steinke. Wenn es voll sei und 30 Kinder kämen, müßten sie die Mutter rauswerfen: „Das fällt uns sehr schwer.“
Der Wohnschiff-Handwerker kommt herein: „Draußen brüllt eins eurer Kinder.“ Katrin Steinke läuft vor die Tür. Ein fünfjähriger Junge aus Jugoslawien wollte weglaufen, zwei kleine Spielzeugautos in der Hand. Er habe nicht mehr gewußt, wo er ist, berichtet Katrin später, nachdem sie den Jungen zu seiner Mutter in die Kabine gebracht hat. Die Gänge auf dem Wohnschiff, das in Schweden maßgefertigt wurde, sehen in jedem Stockwerk gleich aus. Auf dem neuesten Schiff, der Bibi Challenge, sind die Stockwerke durch Symbole wie Äpfel oder Birnen gekennzeichnet, damit sich Kinder zurecht finden.
Kleine Neuerungen und Verbesserungen, die dazu führen sollen, daß sich die Menschen auf den Schiffen wohl fühlen. Stolz führt Unterkunftsleiter Dieter Norton die Presse durch sein Schiff. Die Zweibett-Kabinen, zwölf Quadratmeter groß, haben „Jugendherbergs-Niveau“. Die quadratischen Fenster sind innen mit Kiefernholz verkleidet und von fröhlichen hellblauen Vorhängen umrahmt. Der Blick nach draußen auf die Hafenschlepper ist beinahe freundlich.
Seit 1989 mit der Casa Marina zum ersten Mal ein Wohnschiff im Hafen vor Anker ging, machte diese Art der Flüchtlingsunterbringung immer wieder Schlagzeilen. Mal protestieren die Anwohner, mal ist das Essen nicht in Ordnung. „Da ist so viel Falsches geschrieben worden“, klagt Norton. Der gelernte Heizungsmonteur und Bürokaufmann ist seit fünf Jahren dabei, will eines Tages ein Buch schreiben. „Wie ich die Flüchtlinge im Hungerstreik mit Obst versorgte“, könnte das jüngste Kapitel heißen.
Die Unterbringung auf den Schiffen machte seit 1989 immer wieder Schlagzeilen
Der Unterkunftsleiter redet stets von „dem Asylbewerber“ in dritter Person. „Dem Asylbewerber“ habe man nicht klar machen können, was eine Klimaanlage ist. Deshalb habe man nun auf der Bibi-Endeaver Fenster zum öffnen eingebaut.
Auch sonst wurde bei der Bestellung immer neuer Schiffe die Kritik an der bisherigen Unterbringung teils berücksichtigt und die Wohnmaschine perfektioniert. Auf dem 550-Betten-Schiff „Altona“ können die Spiegel im Bad nicht mehr zerbrechen – sie sind aus blankem Metall. Waschmaschinen können nicht mehr überlaufen – das Wäschewaschen wird den Bewohnern abgenommen. Es gibt keinen Streit mehr um Schweinefleisch – es gibt nur noch muslimische Kost.
Doch es kommen stets neue Hindernisse und Beschränkungen hinzu. Die von außen rottig aussehende „Bibi Endeavour“ – deren Schwesterschiff „Bibi Resolution“ übrigens in New York als Gefängnisschiff vor Anker liegt – hatte noch Aufenthaltsräume für die Bewohner. Weil es dort unter alleinstehenden Erwachsenen zu Alkoholexzessen gekommen sei, so Norton, habe man bei den Neubauten auf diese Gemeinschaftsräume verzichtet. Den Menschen bleiben nur die Kabinen, die engen Flure oder, zu Essenszeiten, die Kantine.
Während die Bedürfnisse der Kinder in den ersten Provisorien nicht berücksichtigt wurden, gibt es heute auf jedem der fünf Schiffe einen Kindergarten. Allerdings auf dem Niveau von Spielgruppen. Die Horte sind nur vormittags geöffnet, die Ausstattung ist bescheiden. Nur dem Geschenk einer Radio-Reporterin ist es zu verdanken, daß es im Kindergarten der Altona seit Weihnachten ein zweites „Auto“ gibt – ein bei Kleinkindern höchst beliebtes Spielzeug. Gibt's davon nur eines, sind Streitereien programmiert. Im Innenhof der Altona stehen sogar Kippelwippen und ein Kletterturm. Allerdings wurden die Geräte auf der kleinen Fläche so arrangiert, daß Ballspielen unmöglich ist. Die bei Kindern beliebten Tennisbälle sollen keine Dellen in die Aluminiumfassade drücken.
Als sie den Blick bemerken, zucken die Kinder zusammen und sind schlagartig „brav“.
Essenszeit: Die Kinder setzen sich diszipliniert an die Tische. Es gibt Schafskäse, Quark und Geflügelwurst. Zwei kleine Russinnen – die eine noch nicht drei und damit eigentlich zu jung für den Kindergarten – streiten sich um das Plastikbesteck. Als sie den Blick der Journalistin bemerken, zucken sie zusammen und sind schlagartig brav. Corinna kennt die Mädchen noch nicht mit Namen. Bis zum Sommer habe sie die Kinder auf der “Göteborg“ betreut. Eine Gruppe, die über ein Jahr auf den Schiffen blieb: „Am Ende konnten die akzentfrei Deutsch. Wir konnten uns richtig mit denen unterhalten“, erinnert sich die Erzieherin. Doch jetzt, seit die Altona Erstaufnahmestelle sei, würden die Kinder nach drei, vier Monaten verschwinden. Dauert das Asylverfahren länger, kommen sie auf die Stockholm, wo ihre Eltern auch selbst kochen dürfen. Wird ihr Antrag abgelehnt, verschwinden sie in ihr Heimatland oder in die Illegalität.
Eigentlich sind die Schiffe nicht für Familien mit Kindern geeignet, bestätigen die Erzieherinnen die Kritik der Hilfsorganisation „terre des hommes“. Es sei viel zu gefährlich, an den Kaianlagen zu spielen. Corinna und Katrin haben jüngst ihre alte Kindergruppe von der Göteborg besucht, die jetzt in einer festen Unterkunft wohnt: „Die sehen viel propperer aus. Haben keine Ringe mehr unter den Augen“.
„Die Schiffe schaukeln, manche Kinder werden richtig seekrank“, sagt „terre des homme“-Mitarbeiterin Gisela Schnelle. Die Wohnflöße sind zwar an Duckdalben zweifach befestigt, trotzdem bleiben sie stets in Bewegung. Um Defizite in der körperlichen, geistigen und seelischen Entwicklung der Kinder möglichst gering zu halten, hat die Organisation ein Freizeitprogramm für die Gruppe der 6- bis 14jährigen aufgestellt. Jene Gruppe, die zu alt für den Kindergarten ist, die aber auch nicht zur Schule geht, weil Asylbewerberkinder nicht der Schulpflicht unterliegen. 200 Kinder im Alter zwischen sieben und fünfzehn, so schätzt Brigitte Stauche vom Arbeiter Samariterbund, leben auf den Schiffen – ohne ausreichendes Freizeitangebot. Zwar hat der ASB von der Jugendbehörde zwei Stellen finanziert bekommen, um auf der „Bibi Challenge“ nachmittags für die älteren Kinder Programm zu machen. Doch eine der beiden Erzieherinnen hat gleich wieder gekündigt. „Wir suchen händeringend Personal“, sagt Brigitte Stauche, die die halboffene Kinderarbeit leitet. Aber in Zeiten, wo Erzieher knapp sind, fühlten sich manche schon „allein durch den Anblick der Schiffe abgeschreckt“.
Manche Erzieher fühlen sich schon durch den Anblick der Wohnschiffe abgeschreckt.
Was bleibt, ist das durch Spenden finanzierte Angebot von „terre des hommes“. Heute nachmittag ist Schwimmen dran. Wir treffen uns an der Bushaltestelle vor den Schiffen. Monir ist dabei und ein paar jüngere Jungs und ein Vater mit seiner Tochter. „Halt, mein Bruder!“ ruft ein Junge im hellblauen Anorak, als der Bus anfährt. „Halten Sie doch an, da fehlt ein Kind“, sagt der Betreuer. Der Fahrer stoppt kurz, dann fährt er entschlossen weiter: „Das muß hier alles zügig gehen“.
Der Junge hält sich an der Busstange fest, guckt unbewegt aus dem Fenster. „Bruder nicht da!“ sagt Monir zu ihm, um den Jungen zu trösten. „Kleines Bruder“, er zeigt zurück zur Haltestelle. Doch der Bus ist im Nu am Altonaer Schwimmbad angekommen. Kurzentschlossen fahren wir mit dem Taxi zurück. Der Fahrer ist Jugoslawe: „Wo kommt es her?“ fragt er und zeigt auf Monir. „Aus Afghanistan? Oh, da ist auch ganz schlimmer Bürgerkrieg. So wie bei uns in Jugoslawien.“ Monir kann ihn nicht verstehen, aber die Gesten zählen. Die Rückfahrt ist umsonst.
Im Bismarkbad hat es derweil schon Streit gegeben. Weil ein Junge mit Schwimmflossen den Nichtschwimmer-Bereich verlassen hatte. Der Wärter schimpft. „Der Junge kann noch kein Deutsch“, greift Gisela Schnelle ein. „Dann müssen sie es eben lernen, wenn sie hierbleiben wollen!“
Ein Hinweis auf die Anwesenheit der Presse beruhigt den Badebeamten. Sonst sei die Schwimmbadleitung immer sehr hilfsbereit, beteuert die „terre des hommes“-Mitarbeiterin. Weil viele Kinder kein Badezeug haben, hat die Bad-Leitung liegengebliebene Badehosen und Handtücher gestiftet.
Auch das übrige Programm von „terre des hommes“ wird nur mit Spenden finanziert: Die Spielgruppe am Montag und Mittwoch, die Fußballgruppe am Donnerstag, die Kochgruppe am Freitag; auch die Bezahlung von je zwei Honorarkräften. Der Jahres-Etat von 26.000 Mark ist aufgebraucht, heute reicht es nicht mal mehr für Saft und Kekse, die sonst immer ins Schwimmbad mitgenommen wurden.
Schwimmen, planschen, ins Wasser springen, das geht auch ohne die deutsche Sprache.
Durch die Toberei im Schwimmbad wird das Eis ein bißchen gebrochen. Schwimmen, planschen, rutschen, einem Erwachsenen mit den Füßen auf den Rücken steigen und dann ins Wasser springen, all das geht ohne deutsche Sprache. Die Kinder sind so dankbar, die Arbeit auf den Schiffen bringt einem auch was, sagen ASB- und „terre des hommes“-Erzieher einhellig. Corinna Jennert hat jüngst einen Kinderpsychologen gefragt, ob es gut oder schlecht für die Kinder sei, wenn sie eine Beziehung zu ihnen aufbaut, wo sie sich doch bald nicht mehr sehen. Es könne mehr nützen als schaden, sagte der Psychologe.
Alles lassen sich die Kids nun doch nicht gefallen. Die nach dem Bad erworbenen und großzügig angebotenen Lakritzen werden abgelehnt und mit dem Gegengeschenk einer mitgebrachten Banane aus der Wohnschiff-Kantine quittiert. Leicht mürrisch warten Peter und Rasim, zwei kleine Jungs von der „Floatel Stockholm“, in der Eingangshalle auf die anderen Kinder. Es zieht. Peter hatte nur ein T-Shirt an, als wir losgingen, jetzt hat Rasim ihm seine Jacke geliehen und sitzt im Sweat-Shirt da. „Manche Kinder haben nicht mal ordentliche Unterwäsche“, sagt Gisela Schnelle. Seit Inkrafttreten des Asylbewerberleistungsgesetzes im November müssen sich die Menschen beim Sozialamt einkleiden, und da sind Kindersachen Mangelware.
Auf der Rückfahrt sind alle Kinder dabei. Die Scheibe im Bus ist beschlagen. Wir malen Männchen und Häuser drauf, wischen sie wieder weg und hauchen sie wieder an. Alle Mitfahrer im Bus wollen zu den Wohnschiffen. Ein Glück, daß keiner da ist, der schimpft, wir sollten die Fenster nicht verschmieren.
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