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Definitives Irgendwas beflügelt Berlin

■ Beim Umzugsbeschluß bleibt alles, wie es ist / Große Koalition und Industrie jubilieren, Kreuzberger sind skeptisch

„Der Knoten ist durchgehauen“ (Ditmar Staffelt, Berliner SPD- Chef), „ein persönlicher Erfolg für Eberhard Diepgen“ (CDU-Fraktionschef Klaus Landowsky), „eine wichtige Entscheidung gegen die Politikverdrossenheit“ (Regierender Bürgermeister Diepgen): Die Große Koalition in Berlin geizte nicht mit Floskeln, hatte sie doch einen Erfolg zu verkünden. Gestern beschloß die sogenannte Elefantenrunde in Bonn, daß beim Umzugstermin alles so bleibt, wie es im Hauptstadtbeschluß im Juni 1991 festgelegt worden war: Bonn kommt nach Berlin. Und das zwischen 1998 und 2000.

Das definitive Irgendwas, das die Elefanten in Richtung Berlin hinausposaunten, beflügelt indes die Industrie. Der Sprecher der Berliner Industrie- und Handelskammer, Egbert Steinke, meinte „ein Signal, das alle erhofft haben“, zu erkennen. Sony-Sprecherin Annerose Steinke stieß ins gleiche Horn („endlich haben wir Planungssicherheit“) und forderte sogleich einen detaillierten Plan, „wann welches Ministerium kommt“. Schade fand sie nur, daß der Umzug nicht schon 1998 unter Dach und Fach sei.

Die Gewerkschaft ließ sich bei diesem nach oben offenen Phrasenwettbewerb nicht lumpen und setzte noch einen drauf: „Die Bonner Parteien haben mit dieser Entscheidung die Chance, ein Stück politische Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen“ (Christiane Bretz, DGB-Vorsitzende in Berlin-Brandenburg). Den Vogel schoß allerdings Klaus Landowsky ab: „Die Hauptstadt dankt Bundeskanzler Helmut Kohl.“

Etwas konkreter wurde die Stellvertretende Vorsitzende von Bündnis 90/Grüne, Elisabeth Ziemer. Sie relativierte den Erfolg für die Hauptstadt. Berlin soll beim finanziellen Ausgleich zwischen Bonn und Berlin statt der anvisierten drei Milliarden nur 1,3 Milliarden Mark erhalten. Der Anteil Bonns stieg dagegen von 1,7 auf 2,8 Milliarden Mark. Deshalb sollten zum Regieren noch mehr Altbauten benutzt werden, als bisher vorgesehen.

Die Reaktion im Volke selber fiel hingegen weit nüchterner aus. „Wer's glaubt, wird mehlig“, meinte der 40jährige Inhaber eines Secondhandladens in der Oranienstraße zur Umzugsentscheidung. Er mache sich keinen Kopf darüber, wann die Politiker kommen. Er erwarte ohnehin, daß die Gewerbemieten in nächster Zeit um etwa 200 Prozent steigen würden. Der 18jährige Arkan Ersan gleich nebenan hat es sich bereits aus dem Kopf geschlagen, den Delikatessenladen seines Vaters zu übernehmen. „Die Miete wird bald zu hoch sein.“ Deshalb werde er sich jetzt voll auf die Schule konzentrieren.

„Auf Dauer können sich nur noch Dienstleistungsbetriebe halten, die mehr Finanzen umsetzen“, ist sich auch Stefan Krautschik vom Bezirksamt Kreuzberg sicher, „also Handelsvertretungen, Architekturbüros und Praxen.“ Das sei schon vor dem Krieg so gewesen und würde auch jetzt wieder so, sagte er. Die Besitzer von kleinen Läden und Handwerksbetrieben würden „wohl oft auf dem Sozialamt landen. Das ist ein marktwirtschaftlicher Prozeß.“ Martin Hörnle

Siehe Seiten 1 und 4

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