: „Wir sind Menschen ohne Adresse“
■ Kroatische Flüchtlinge sollen abgeschoben werden
Bis Ende April sollen nach dem Willen der Innenminister die kroatischen Flüchtlinge Deutschland verlassen. „Wir wissen nicht wohin. Niemand hat uns erklärt, warum wir gehen sollen.“ Ljerka Popic ist eine von ihnen. Von den rund 3.200 Kriegsflüchtlingen in Hannover sind 211 Frauen und Männer in einer ähnlichen Situation wie Ljerka.
Auf die Abschiebeandrohung des Ordnungsamtes reagiert Ljerka Popic mit einer Mischung aus Verzweiflung und Wut. Sie und ihr Mann Marko, beide Anfang 30, haben sich eine provisorische Existenz aufgebaut. Den Lebensunterhalt bestreiten sie mit Nacht- und unbequemer Schichtarbeit. Das Ehepaar Popic ist vor eineinhalb Jahren mit seiner sechsjährigen Tochter Ina und der Großmutter aus Vukovar geflohen: In einer Feuerpause gelang ihnen die Flucht aus der umkämpften Stadt.
„Ich fühle mich so wie damals“, sagt Herr Popic. „Der Unterschied ist nur, daß ich diesmal nicht in fünf Minuten, sondern in drei Monaten ins Ungewisse flüchten muß.“ Am härtesten trifft es Ina. Sie leidet unter Kriegstraumata. Sobald ein Hubschrauber zu hören ist oder wenn – wie zu Silvester – Knaller durch die Luft fliegen, schreckt sie zusammen. Wenn die Großmutter sie morgens zum Kindergarten bringt, darf sie den Schritt nicht beschleunigen. „Warum laufen wir?“, fragt Ina dann und bleibt stehen. Sie erinnert sich daran, wie die Familie bei Bombenalarm in den Keller laufen mußte.
Die Eltern von Ina wollen nach Kriegsende wieder nach Kroatien zurückkehren. Wenn erst die besetzten Gebiete befreit seien, könnten die zerstörten Häuser wieder aufgebaut werden. Solange dies nicht möglich sei, seien sie Menschen ohne Adresse.
Wohin wollen uns die Deutschen schicken, wenn in Kroatien schon 500.000 Flüchtlinge leben? Lassen sie uns an der Grenze stehen? Gibt es eine moralische Verpflichtung, daß deutsche Politiker sie nicht in den Krieg zurückschicken? Fragen, auf die sie bislang keine Antwort erhalten haben. „Wir sind nur der Einsatz in einem Spiel der europäischen Politiker. Aber der Einsatz sind Menschen und am härtesten trifft das wieder die Kinder“.
Die Aussage des niedersächsischen Innenminister Glogowski, daß viele Flüchtlinge freiwillig nach Kroatien zurückkehren, findet Popic zynisch. „Ich lade den Herrn Minister unter Einsatz meines Lebens ein, sich Vukovar anzuschauen. Dann frage ich Ihn, ob die Menschen dorthin freiwillig zurückkehren.“ nn/kk
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