: Von rechts okkupiert?
■ „Neue Soundtracks für Volksempfänger“ Rock und Politik in einer Lesung
Alle möchten reden, zum Beispiel über Politik, und diskutieren, zum Beispiel über Nazi-Rock. Oder analysieren, zum Beispiel die Herausgeber des Buches „Neue Soundtracks für den Volksempfänger“, Ralph Christoph und Max Annas.
Wegen Krankheit erschien in einem Nebenraum der Roten Flora zur Diskussion darüber aber nur Max Annas und Kollegen. Die hatten nicht allzuviel Mühe, zwei Aufsätze aus der Essay-Sammmlung zu verlesen. Der erste behandelte die Rezeption der rechtsradikalen Bands in der Presse. Berüchtigstes Beispiel: Das Interview des Spiegel mit der Gruppe Störkraft. Das Trio versuchte seinen rechtsradikalen Standpunkten im Gespräch mit den Reportern einen liberalen bis humanistischen Anstrich zu geben. Nach Verlesen des Beitrags einer Mitherausgeberin der Zeitschrift SPEX, Clara Drechsler, fehlte es offensichtlich immer noch am nötigen Stoff für eine Diskussion. Drechsler hat Faszination und Vereinnahmungsmöglichkeiten von „Rock“ aufgezeichnet, sowie die mit ihm verbundenen menschenfeindlichen Mißverständnissen von den verbreitungwürdigen Standpunkten differenziert.
Zwischendurch leiteten einige Mißtrauische eine Debatte darüber ein, ob Rock-Musik nicht von jeher von rechts okkupiert worden sei. Schließlich hätten seinerzeit auch die Sex Pistols sich gegen Abtreibung ausgesprochen. Annas Versuch einzulenken endete bei der Feststellung, daß die Musik der meisten rechtsradikalen Bands „qualitativ vergessen“ werden könne. Ein argumentationsschwaches Podium erlebte daraufhin Zuhörer und Zuhörerinnen, welche sich an Argumenten rieben, deren notorische Stumpfheit in diesem Jahrhundert auch schon Dadaisten oder Mitglieder von Andy Warhols Factory prüfen durften: Der vermeintlich rein ästhetische Ansatz verhindert die politische Klarsicht und öffnet so den Rechten Tür und Tor. Eine seltsame Veranstaltung kam zu Ende, als klar wurde, wie wenig sich alle Anwesenden für eine Klärung interessierten.
Kristof Schreuf
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