: Zentrale Peripherie im Zentrum
■ Lichtmeß: „Serbische Legenden“ und „Blasorchester“
Trotz anderslautenden Gerüchten zeigt das Lichtmeß-Kino am Wochenende die angekündigten Filme. Erst im Februar bitten sich die Lichtmeßner eine Denkzeit aus.
Nach Bosnien geht es am Freitag im Lichtmeß, in die Hügel um die belagerte Stadt Sarajevo. Die rurale Peripherie wird hier zum Zentrum, die „Reinheit“ einer ethnischen Identität zum genius loci. Mit Bedacht hat der Filmemacher Paul Pawlikowski diese Bühne für sein Portrait des Poeten, Psychoanalytikers und Führers der bosnischen Serben Dr. Radovan Karadzic ausgewählt. Serbische Legenden läßt sich so lesen als antropologischer Essay, der beispielhaft zeigt, wie um eine Vergangenheit in der Gegenwart Konstruktionen erfunden werden, die unterschiedlich aufgeladen als Volk, Nation, Rasse, ethnische Gruppe bezeichnet werden. Zwar richtet sich Pawlikowskis analytischer Blick hier auf die serbischen Legenden, behält aber das Konstruktionsprinzip jeder Blut und Boden-Ideologie im Auge.
Beim Mannheimer Filmfestival wurde der Regisseur mit ähnlich erhitzten Anwürfen konfrontiert wie Winfried Bonengel, Regisseur von Beruf Neonazi. In einem Vergleich der beiden Filme ließe sich vielleicht dem Scheitern Bonengels auf die Spur kommen, dem filmischen wohlbemerkt, denn um ein moralisches geht es nicht.
Aus den Hügeln führt dann Johann van der Keukens Sarajevo Film Festival Film direkt in den Alltag der belagerten Stadt. Es hatte dort ein Filmfestival stattgefunden, das auch Filme van der Keukens im Programm hatte. Der kurze Film beobachtet den Festivaldirektor und eine Besucherin im Kino und im Kriegsalltag. Doch es geht um weit mehr: die Rolle, die Kunst im Granatenhagel spielen kann.
Aus Sarajevo in die Welt der „Blasorchester“. Auch dieser Film ist auf seine Art ein antropologischer Essay. Nachvollzogen wird, musikalisch und geographisch, die von Europa ausgehende Verbreitung von Blechblasinstrumenten, wie aus etwa, was eigentlich als Unterwerfung geplant war, doch wieder Eigensinniges entsteht, und sogar in anderer Gestalt an den Ausgangsort zurückkehrt, und Eingang findet in die europäische Unterhaltungsmusik. Van der Keuken schärft Sehen und Hören, das kann schöner sein als das Vergehen dieser Fähigkeiten. anakonda „Serbische Legenden“ und „Sarajevo Film Festival Film“: Freitag, 28. Januar, 21. Uhr „Blasorchester“: Sonnabend 29. Januar 21 Uhr
Lichtmeß, Gaußstraße 25
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