: Es gibt Wichtigeres in dieser Stadt, als Straßen umzutaufen. Berlins Verkehrssenator aber sieht das nicht so. Er möchte wohlklingende Namen wie Rosa Luxemburg oder Clara Zetkin aus den Stadtplänen tilgen und provoziert und erntet damit Widerspruch. Eine Kollektion prominenter Stimmen von Thorsten Schmitz
Foto: ADN
Jens Reich, Molekularbiologe und Bundespräsidentschaftskandidat
Ich halte von Umbenennungen nichts. Ich habe schon von den früheren Umbenennungen in diese Namen nichts gehalten und bin überhaupt dagegen, daß Straßen nach vermeintlich oder wirklich prominenten Leuten benannt werden, weil das immer nur eine Generation aushält und dann wieder die Umbenennungen einsetzen. Ich würde vorschlagen, alle Straßen Rebhuhnweg oder Kaninchenweg zu nennen. Oder so.
Foto: taz
Lotti Huber, Schriftstellerin, Sängerin, Geschichtenerzählerin
Na gut, ich meine, ich glaube, das ist auch eine emotionale Sache, denn das waren ja Begriffe, für die die DDR gestanden hat. Und man will ja demokratisieren. Nehme ich an. Und, ach Gott, wissen Sie, Namen sind schon so oft umgeschaltet und umgenannt worden: Das ist eine politische Angelegenheit. Ich finde es auch nicht so wichtig, daß das abgeschafft wird. Ist ja auch richtig, denn diese Ideale und diese rein kommunistischen Namen, die haben ja gar keinen Bezug mehr zur neuen Situation. Man kann die Namen ruhig abschaffen. „Neues Leben blüht aus den Ruinen“, hat Schiller gesagt.
Foto: AP
Walter Momper, Ex-Bürgermeister von Berlin, Immobilienmanager
Gegen einen Teil der Straßennamen habe ich überhaupt nichts einzuwenden. Aber es gibt auch eine Reihe von Figuren, deren Rolle in der deutschen Geschichte mir so zuwider ist, daß ich meine, daß sie auch nicht als Straßennamen erhalten werden sollen. Die Rosa- Luxemburg-Straße sollte sicherlich nun nicht verschwinden, aber Dimitroffs Rolle in der Weltgeschichte ist mir zutiefst zuwider. Doch es gibt vordringlichere Aufgaben, als Straßennamen zu ändern. Und man muß die Rolle der einzelnen Personen in der deutschen Geschichte prüfen. Bei Rosa Luxemburg und Clara Zetkin habe ich da keine Einwände. Selbst Karl Liebknechts Rolle in der deutschen Geschichte werde ich trotz allem als positiv einordnen.
Foto: Marco Limberg/G.A.F.F.
Christa Wolf, Schriftstellerin
Ich habe es einfach nicht glauben wollen! Daß es noch jetzt möglich ist, daß eine sich unabhängig nennende Kommission Namen wie Clara Zetkin, Karl Liebknecht, Georgi Dimitroff, Max Beer und Rosa Luxemburg aus dem Stadtbezirk Mitte herausschmeißen will. Ich finde eigentlich dafür gar keine Worte. Ich glaube, dagegen muß man sich einfach wehren. Denn die Umbenennungen werden zumindest bei den Leuten, die in Mitte wohnen, als eine Vergewaltigung empfunden. Diese Straßennamen sind auch in unterschiedlichem Maß identitätsstiftend. Und die Umbenennungen sind ein weiterer Versuch, diese linke Identität oder Reste davon einfach aus dem Stadtbild und möglichst eben auch aus den Gedanken der Leute herauszubringen.
Foto: J.H. Darchinger
Konrad Weiß, Filmemacher und Bundestagsabgeordneter Bündnis 90/Grüne
Ich halte überhaupt nichts von Bilderstürmerei. Es ist klar, daß man Straßen nicht nach Leuten benennen kann, die sich Menschenrechtsverletzungen zuschulden haben kommen lassen. Ich wäre da sehr vorsichtig, was zum Beispiel Straßen, die nach Mitgliedern des Politbüros oder der Nationalen Volksarmee benannt worden sind, angeht. Ich wünschte keine Erich- Mielke- oder Honecker-Straße in Berlin. Aber ich habe überhaupt keine Probleme damit, daß Straßen nach Rosa Luxemburg oder Clara Zetkin benannt sind. Im Gegenteil, die gehören zu unserer Geschichte. Gegen Herrn Dimitroff habe ich nichts; der hat sicher eine ganz wichtige Rolle als Antifaschist gespielt. Mir liegt auch daran, daß durch Straßen, wenn sie umbenannt werden, Leute geehrt werden, die in der DDR nie eine Chance gehabt hätten.
Foto: Ute Weller
Freya Klier, Regisseurin und Autorin
Ich finde, daß jede Straße, die benannt ist nach jemandem, der Widerstand geleistet hat gegen den Faschismus und dabei umgekommen ist, benannt bleiben soll. Aber so Leute wie Pieck, diese ganzen aus Moskau Rübergekommenen, das finde ich schon umbenennenswert. Aber man sollte die Leute nicht demütigen mit Umbenennungen. Das ist eine Geschichtsverkleisterung. Und die dann zu ersetzen durch irgendwelche Prinzessinnen, das ist schon makaber.
Foto: Privat
Ivan Nagel, Professor für Geschichte und Ästhetik der darstellenden Künste an der HdK
Ich würde qualifizieren, denn jeder Fall ist verschieden. Das schlimmste wäre, wenn wir jetzt über die ganze Vergangenheit Gericht sitzen würden, um die Wölfe von den Schafen, die Linken von den Rechten zu trennen. Aber ich glaube, daß mit Sicherheit einige Umbenennungen fällig waren und fällig sind. Ich bin für individuelle Beurteilung: Straßen, die an den Stalinismus erinnern, können weg. Aber ich bin nicht dafür, die Rosa- Luxemburg-Straße in Bismarck- Straße umzubenennen, um es zu pointieren.
Foto: Privat
Sonja Margolina, Schriftstellerin
Rosa Luxemburg soll bleiben, weil sie eine große Persönlichkeit war und eine wichtige Rolle in der Geschichte gespielt hat. Dimitroff kann man abschaffen. Clara Zetkin kann auch bleiben. Mir gefällt auch nicht, daß es so plötzlich passiert.
Foto: taz
Inge Meysel, Schauspielerin
Die Ost-Straßen sollen ihrer Helden beraubt werden. Ich verstehe gar nicht, daß Rosa Luxemburg verschwinden soll. Das ist der größte Blödsinn, den es gibt! Die sollen doch geschichtliche Straßen, ob links oder rechts ist mir scheißegal, so lassen, denn es ist deutsche Geschichte. Und sie sollen stolz sein, daß sie überhaupt noch eine Geschichte haben.
Foto: Peter Peitsch
Henryk M. Broder, Publizist
Nun gut, das ist nicht das erste Mal, daß in Deutschland ein Stück Geschichte auf dem administrativen Wege ausgeklammert wird. Deswegen überrascht mich das auch nicht. Grundsätzlich bin ich nicht gegen Umbenennungen; in einigen Fällen finde ich das auch vollkommen richtig. Wenn es noch eine Ulbricht-Straße gäbe, müßte die umbenannt werden. Ich fände es auch nicht verkehrt, einige Straßen umzubenennen und dann ein paar Widerstandskämpfer oder vertriebene Juden zu ehren. Aber offenbar will man tief in die Geschichte zurückkommen. Ich halte die Umbenennungen für genauso albern wie die Schloßattrappe. Irgendwie ist man in Deutschland von dem Wunsch beseelt, die Zeit von 1933 bis 1945 verschwinden zu lassen.
Foto: Holger Floß
Andrea Breth, Intendantin der Schaubühne
Daß man alles abschafft, ist eine Geschichtsverklitterung. Diese ganze Entwicklung finde ich zu schnell und zu unreflektiert. Ich sehe nicht ganz ein, warum Rosa Luxemburg nicht mehr vorkommen soll. Was daran falsch sein soll, verstehe ich nicht. Jetzt so zu tun, als hätte es die 40 Jahre DDR nicht gegeben, finde ich höchst fragwürdig.
Foto: tip Filmjahrbuch 1993
Thomas Heise, Theaterregisseur und Filmemacher, wohnt in der Rosa-Luxemburg-Straße
Ich halte das für Schwachsinn. Und warum muß man denn begründen, daß man den Straßennamen Rosa Luxemburg gut findet? Rosa Luxemburg ist eine der wichtigsten Figuren der deutschen Geschichte dieses Jahrhunderts. Ich finde es grundsätzlich falsch, Straßen umzubenennen. Das einzige, was ich akzeptieren würde, wäre eine Rückbenennung der Karl- Marx-Allee in Stalinallee. Das hätte noch Sinn. Wenn es um neue Straßen geht, dann kann man darüber nachdenken, wie die dann heißen sollen. Interessanter wäre, die Straßen zu lassen, so, wie sie jetzt sind, um eben das, was gewesen ist, auf diese Weise zu erhalten. So daß man auch darüber nachdenken kann, warum heißt eine Straße nach jemandem, der mir vielleicht nicht gefällt.
Foto: taz
Rosa von Praunheim, Autor und Filmemacher
Mir kommt in den Sinn, daß Leute, die mit meiner Aids-Politik nicht einverstanden waren, mir meinen Künstlernamen abgesprochen haben. Das sind Machtkämpfe. Das ist eine Sache der Wahl, da muß man einfach eine andere Partei wählen. Außerdem muß man sich auch fragen, ob man überhaupt Straßen haben will oder ob nicht die Leute, die in einer Straße leben, ihrer Straße selber einen Namen geben sollten. Die Leute, die in einer Straße wohnen, die umbenannt werden soll, müssen sich engagieren und dürfen sich nicht alles von oben diktieren lassen. Meine Straße könnte zum Beispiel Magnus-Hirschfeld-Straße heißen. Über diesen Sexualwissenschaftler bereite ich gerade einen Film vor. Ich verehre Hirschfeld sehr.
Foto: Privat
Klaus Wagenbach, Verleger
Umbenennen ist immer gut. Kommt nur drauf an, in was. Das ist eine alte Berliner Sitte: alles einzureißen und neu zu bauen. Das fing mit Schinkel an, das hat sich bis unter Ernst Reuter, dem damaligen Westberliner Bürgermeister, fortgesetzt, und ist heute genauso. Der Berliner ist ein unruhiger Einreißer. Da Berliner klassische Neureiche sind und es hier ein altes Bürgertum nicht gibt, hat er natürlich überhaupt kein Traditionsbewußtsein.
Ich lache über die Straßenumbenennungen. Es ist eben so. Es gibt allerdings Namen, da werde ich übellaunig. Wenn zum Beispiel Clara Zetkin oder Rosa Luxemburg umbenannt werden, dann ist das ein Zeichen für diesen klassischen Berliner Geist. Aber für seine unguten Seiten. Generell bin ich nicht gegen Straßenumbenennungen. Sonst hätten wir ja noch Adolf-Hitler-Plätze und Hermann-Göring-Straßen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen