: Schamhafte Brustwarze, selbstausgelöst
Gertrud Arndt wollte Architektin werden, ging ans Bauhaus und landete in der Klasse für Weberei. Da widmete sie sich lieber einer autodidaktisch erlernten Kunst: der Fotografie. Eine Ausstellung im Verborgenen Museum ■ Von Claudia Wahjudi
Die falschen Perlen ordentlich auf der gestreiften Bluse, das lockige Haar kurzgeschnitten und hinters Ohr geklemmt: Gertrud Arndts Selbstporträt von 1926 könnte als eines jener Bilder von modernen Frauen gelten, wie sie nach dem Ersten Weltkrieg Furore machten – würde Arndt nicht verträumt an der Kamera vorbeiblicken und wie zum Schutz vor dem Betrachter ihre linke Schulter hochziehen. Doch trotz der angedeuteten Verletzlichkeit wirkt das Foto immer noch wie eine Vorlage für offizielle Anlässe – das handgewebte Textilstück, das den Hintergrund stellt, gibt Auskunft über den Beruf der Abgebildeten.
Andere Aufnahmen von Gertrud Arndt waren nicht fürs Publikum bestimmt. 1930 fertigte sie ihre Masken-Selbstporträts an, auf denen die Zeichen der neuen Zeit gänzlich fehlen. Für die Fotografien, mit einer wackeligen Stativkonstruktion und einem Zwirnsfaden als Ersatz für den Selbstauslöser aufgenommen, hüllte sich Arndt in Tüll und Spitzen, Schleier und Stickereien, wie sie damals aus den Geschäften aussortiert wurden, und saß sich selbst Modell. Keine der 43 Aufnahmen gleicht der anderen, und auf jeder spielt Arndt eine neue Rolle.
Selbstporträt 38 beispielsweise zeigt sie als augenrollenden Einfaltspinsel in hochgeschlossenem Trachtenhemd und unter kinngebundenem Strohhut. Auf Nummer 17 mimt Arndt mit niedergeschlagenen Augen und schwarzem Buch die eitle Kirchgängerin, auf Nummer 3 wiederum scheint sie mit Blüten am Hut und einer Blume im Mund den Betrachter zum Flirt herauszufordern. Manchmal ähneln sich jedoch Details: Hier und da lugt eine Brustwarze hervor, und meist formt der Mund ein süßes Herzchen.
Nachdem diese Selbstporträts 1979 im Essener Folkwang-Museum ausgestellt waren, sind sie jetzt zum ersten Mal auch in Berlin zu sehen. Das Verborgene Museum, 1984 aus der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst zur „Erschließung des kulturellen Erbes der Frauen“ gegründet, zeigt sie unter dem Titel „Maskerade und Neue Sachlichkeit – Photographien der Bauhaus-Künstlerin Gertrud Arndt“. Die Ausstellung, die zusammen mit dem Bauhaus Archiv erarbeitet wurde, kontrastiert die privaten Rollenspiele mit den Fotografien, die von Arndts Auseinandersetzung mit der Schule des Neuen Sehens zeugen.
Gläserne Stilleben, befreundete Bauhäusler und den Alltag am Institut hatte Arndt in extremen Ausschnitten und Perspektiven sowie starken Hell-Dunkel-Kontrasten abgebildet. Den Mythos von der Schule als reinem Hort des Fortschritts aber demontiert die Biographie der Künstlerin. Der ehemalige Wandervogel Gertrud Arndt, der sich die Fototechnik selbst erschlossen hatte, wollte sich am Bauhaus zur Architektin ausbilden lassen und landete – wie die meisten Schülerinnen – in der Klasse für Weberei.
„Diese ganzen Fäden, das mochte ich gar nicht. Nein, das war nicht meine Sache“, zitiert der Katalog die heute Neunzigjährige. Trotzdem legte sie 1927 in der ungeliebten Disziplin die Gesellenprüfung ab. Im gleichen Jahr heiratete sie den Bauhäusler und Wandmaler Alfred Arndt und kehrt mit ihm nach Dessau zurück, als dieser 1929 zum Meister der Ausbau- Werkstatt berufen wurde. Für sie selbst gab es am Bauhaus allerdings keine Arbeit. Ein Jahr nach dem Umzug fertigte sie dann ihre Maskenfotos – aus „Langeweile“, wie sie zu Protokoll gegeben hat.
Hinter diesem Understatement mag sich mehr verbergen. Arndt begann die Reihe der Selbstporträts, als der Alltag nicht mehr mit den Vorstellungen übereinstimmte, mit denen sie einst ausgezogen war, um Häuser zu bauen. In dieser Situation nimmt ihr Rollenspiel den Charakter eines Rückzugs ins Ich an, welcher der Selbstvergewisserung dienen konnte, vielleicht aber auch der Suche nach einem Bild der Frau in einer Zeit, da Muster von wilhelminischen Untertaninnen, todesmutigen Flugzeugpionierinnen und flotten Tennisspielerinnen miteinander konkurrierten. Eine Suche jedenfalls, auf die sich Arndt nicht allein gemacht hatte. Die Kunsthistorikerin Sabina Leßmann, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Bonner Kunstmuseum, stellte in einem Vortrag anläßlich der Ausstellungseröffnung am 20. Januar Arndts private Arbeiten an die Seite der Aufnahmen von Marta Astfalck-Vietz. Die Fotografin, die Textiltechnik und Modezeichnung studiert und eine Fotofachausbildung absolviert hatte, verkaufte professionell Modell- und Rollenfotos sowie modische Genre-Serien an Illustrierte. Wie Arndt bevorzugte Astfalck-Vietz in ihren Szenarien variable Stoffarrangements, und wie diese widmete auch sie sich im Privaten der Darstellung ihrer selbst.
Allerdings ging Astfalck-Vietz in ihren Selbstinszenierungen wesentlich weiter. Hinter den Spitzenstoffen ist ihr nackter Körper zu erkennen, der in seinen tänzerischen Bewegungen den ihn umgebenden Raum mit ins Bild holt. Dann wieder präsentiert sie ihn als reinen Akt, etwa auf einem Diwan vor chinesischer Tapete. Die Erotik steht auf diesen Fotos eindeutig im Vordergrund, wenn Vietz wohl auch nicht, wie der Verein Berliner Künstlerinnen 1991 drucken ließ, „virtuos auf dem Klavier der Männerphantasien spielte“.
Die Untersuchung des eigenen Körpers und seiner Ausdrucksmöglichkeiten war schließlich nicht nur emanzipatorisches Experiment, sondern bloße Notwendigkeit: An den öffentlichen Akademien war den Studentinnen das Aktzeichnen verwehrt, an den privaten Schulen hörte der Akt an den Hüften auf. Auch die Frauen der Surrealisten widmeten sich dem Studium ihrer Körper, während ihre Männer mit ihnen darüber fachsimpeln wollten, wie mann eine Frau am besten zu nehmen hätte – die verkehrte Welt von „Malerin und Modell“, „Musenmann und Künstlerin“ blieb dagegen unentdeckt. Bis heute konzentrieren sich Künstlerinnen in ihren erotischen Darstellungen vor allem aufs eigene Geschlecht.
Die Chronologie dieser Selbstreflexionen läßt Elisabeth Moortgart, Leiterin des Verborgenen Museums, die Fotos von Gertrud Arndt an den Anfang einer Linie stellen, die sie bis zu den Arbeiten von Cindy Sherman zieht. Ein enormer Sprung über Zeit und Kontext hinweg, was natürlich auch Moortgart weiß und die Behauptung ihres Katalogtextes darum als Provokation verstanden wissen will. Zu groß sind die Differenzen: hier die improvisierte Ausrüstung, dort die perfektionierte Technik; hier ein maskiertes Individuum in den eigenen vier Wänden, dort ein Typus in einer Landschaft oder an einem kompliziert arrangierten Schauplatz; hier intimes Rollenspiel, dort das öffentliche Konzept einer Suche nach einer Realität hinter der der Medienprodukte.
Gleichwohl verblüfft das Masken-Selbstporträt 37 1/2 dann doch. Ganz aufrecht sitzt Gertrud Arndt da vor dunklem Hintergrund: Von ihren Schultern fallen durchsichtige Stoffe, um ihren Hals liegt ein kleiner, dennoch majestätischer weißer Pelz. Im Haar stecken Zweige, der Leib ist geheimnisvoll verschnürt, und hinter der Korsage schimmern wieder Spitzen. Das schräg einfallende Licht modelliert Arndts bleiches Gesicht plastisch aus und läßt die eigentümliche Beautée, die aus anderen Zeiten oder Kulturen gekommen zu sein scheint, beinahe wie eine frühe Ausgabe der Shermanschen Historienbilder aussehen. Und wie in den Arbeiten der amerikanischen Künstlerin ist die Schönheit auch hier nicht perfekt: Unter Arndts theatralisch geschminktem Lid verrutscht das linke Auge in einen ominösen Silberblick.
Doch nicht diese zufällige Ähnlichkeit hat Moortgart nach Gemeinsamkeiten in den so unterschiedlichen Arbeiten der beiden Künstlerinnen suchen lassen. Hinter den Inszenierungen steht eine Suche nach einem Begriff von der Frau, der nicht in Männerköpfen erdacht wurde, und zudem eine Auseinandersetzung mit den Phänomenen erotischer Ausstrahlung, die den Frauen anzudichten männlichen Künstlern vorbehalten war, seit diese die Anatomie entdeckt hatten.
Wenn Sherman sich dem Blick des Betrachters zeigt, spielt sie mit Bildern von Frauen, die bereits existieren, und bricht die Standards, an denen Frauen zu Frauen werden. Sie schnallt sich künstliche Brüste um, läßt daraus einen Tropfen falscher Milch fallen, inszeniert die Geburt eines ekelerregenden, undefinierbaren Wesens oder plaziert sich, wenn sie als statusbewußte Dame Pose sitzt, eine Warze mitten ins Gesicht. Denn daß die Frau in ihrer Verinnerlichung der männlichen Erwartung einer Selbsttäuschung unterliegt, weiß Sherman nur zu gut: Bei ihr findet das Ich seinen Ausdruck nur in der Kopie des Modells oder – „I am always the others“.
Gertrud Arndt hat es freilich anders formuliert: „Vielleicht hat man immer eine Maske... Du bist doch immer wieder anders, so vielerlei...“ Aber auch sie unterläuft die Vorgaben, welche die Entwürfe einer Frau bestimmen. Das schielende Auge oder die Narben einer Impfung, auf Nr. 19 auffälliger als die Augen, gehören gemeinhin nicht zum Kanon weiblicher Attribute. Arndt jedoch, ein halbes Jahrhundert vor Sherman, hatte die Maskierung nicht ausdrücklich als gesellschaftlichen Zustand der Frau beschrieben. Und sie hatte nicht mit dem Blick des anderen gerechnet.
Auf jenem Selbstporträt 3 trägt sie ein schreiendes Ensemble aus kimonoartiger Jacke und ausladendem Hut. Die dunkle Blume im Mund lenkt die Aufmerksamkeit des Betrachters zwischen ihre roten Lippen, an den Handgelenken und im Dekolleté ist durchbrochenes Gewebe zu erkennen, Stoff also, der verhüllt, um bloßzulegen. Allesamt Requisiten, die gelesen werden könnten, als ob da eine „leicht zu haben“ sei. Die Deutung indes, daß Arndt hier als Prostituierte auftritt, ist die eines Mannes: „...Schmidtchen, der Meister der Reklameabteilung, war der einzige, der wußte, was ich mache. Und bei dem mit der Blume im Mund sagte er: ,Mensch, was siehst du da aus? Du siehst aus wie 'ne Hure‘“, erinnert sich Arndt im Katalog. Und weiter: „Das hab' ich mir natürlich nicht gedacht. Ich weiß gar nicht, wie 'ne Hure aussieht...“ Das Bild, das Arndt erfunden hatte, existierte bereits.
„Es kam gar nicht darauf an, zu gefallen“, resümierte Gertrud Arndt, die zu ihrer Ausstellung aus Darmstadt angereist war. „Wenn andere dabei sind, machst du keine Grimassen, nur wenn du allein bist.“ Die Hoffnung aber, unter Ausschluß des öffentlichen Blicks allein mit sich sein zu können, trügte. Der andere war längst da.
Noch bis 13. 3., Do., Fr. 15–19, Sa., So. 12–16 Uhr, Verborgenes Museum, Schlüterstraße 70, Charlottenburg.
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