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■ Großbritannien: Senkung des Schutzalters für Schwule?„Ungeheuerliche Unsittlichkeit“?

Birmingham (taz) – Im Grunde sind heranwachsende Briten nicht anders als Festland-Europäer. Mit 16 können sie die Schule verlassen, ab 17 läßt sie der Staat Auto fahren, ab 18 wählen. Nur eins dürfen die Jungs nicht, bis sie 21 sind: ins Bett mit einem anderen Mann. Aus gutem Grund, meint das sonntägliche Massenblatt News of the World: „Niemand weiß genau, was die Ursachen für Homosexualität sind. Aber eine physische Einführung zu homosexuellem Verhalten muß dazugehören.“

Die Anziehungs- und Überzeugungskraft von schwulem Sex muß auf der Insel größer sein als anderswo – kein anderes Land in West- und Mitteleuropa hat ein so hohes Schutzalter. Doch die Zeiten, in denen Teenager ins Gefängnis geschickt werden, weil sie mit ihrem Freund geschlafen haben, sind womöglich bald vorbei: In den nächsten Tagen entscheidet das britische Unterhaus, ob das „Age of Consant“ für Schwule dem für Heteros und Lesben angepaßt und auf 16 gesenkt wird.

Vorausgegangen ist eine Lobby- Kampagne mit einer Präsenz schwuler Themen in den Medien, wie sie Großbritannien nicht gesehen hat, seit 1967 das grundsätzliche Verbot homosexueller Handlungen aufgehoben wurde. Abgeordnete wurden mit Briefen überhäuft, das Parlament belagert, öffentliche Kiss-ins von Teenagern veranstaltet. Organisiert vor allem von der schwul-lesbischen Interessenorganisation „Stonewal“ sowie „Torche“, einer Gruppe, die sich innerhalb der Konservativen Partei für homosexuelle Gleichberechtigung einsetzt, fand sich eine erstaunliche Koalition zusammen: von Prominenten wie den Pet Shop Boys oder dem Schauspieler Stephen Fry über die britische Medizinervereinigung bis hin zu einzelnen Rechtsaußen der Tory-Partei. Die kämpften vielleicht weniger für das Wohlergehen von Minderheiten, wohl aber für sowenig Staat wie möglich – auch im Schlafzimmer.

Den Namen „Schutzalter“ hat das Gesetz nach Ansicht der Aktivisten ohnehin nicht verdient – bedroht es doch die „Opfer“, die es zu schützen vorgibt, mit Strafe. Zwischen 1988 und 1991 wurden über 2.000 Männer wegen Sex mit beiderseitigem Einverständnis mit Männern unter 21 verhaftet. Bei einer niedrigeren Altersgrenze würde auch die Zahl der HIV-Infektionen unter schwulen Teenagern sinken, glaubt die Medizinervereinigung, da die sich dann besser über Safer Sex informieren könnten. Bislang wenden sich die meisten Aids-Hilfe-Gruppen aus Angst vor Strafverfolgung nur an über 21jährige.

Daß das Unterhaus den Status quo beibehält, halten die meisten Beobachter für unwahrscheinlich. Möglich ist allerdings, daß sich eine Mehrheit der Abgeordneten aus Angst vor einer unpopulären Entscheidung für ein Mindestalter von 18 Jahren ausspricht – „ein „Kompromiß“, den die Initiatoren heftig ablehnen. „Es gibt keine halbe Gleichheit“, sagte die ehemalige Tory-Ministerin Edwina Currie, die den Gesetzentwurf einbrachte.

Je nachdem, wie die Abstimmung ausgeht, wollen die Initiatoren es wagen, die Parlamentarier zu ermuntern, den Sprung aus dem Mittelalter mit weiteren Gesetzesänderungen gleich bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts zu verlängern. Unabhängig vom „Age of Consent“ ist in Großbritannien nämlich immer noch jeder homosexuelle Akt in der Öffentlichkeit (und dazu zählen auch Hotelzimmer, Studentenwohnheime und private Häuser, in denen sich andere Leute aufhalten) strafbar, genau wie schwuler Sex mit mehr als zwei Beteiligten. Das entsprechende Vorgehen kann ausschließlich von Schwulen begangen werden und nennt sich „Ungeheuerliche Unsittlichkeit“. Stefan Niggemeier

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