: Burundi im Schatten der Militärs
In dem ostafrikanischen Land sind Zehntausende gestorben – nun herrscht wieder Krieg zwischen Regierung und entmachteter Elite / Die Haltung der Armee ist entscheidend ■ Aus Bujumbura Bettina Gaus
Geschäfte in Burundis Hauptstadt Bujumbura sind geschlossen, nirgendwo sind öffentliche Verkehrsmittel zu sehen. Seit Anfang der Woche vergeht keine Nacht ohne Schüsse in verschiedenen Wohnvierteln – bis zu 100 Todesopfer sollen die Auseinandersetzungen bereits gefordert haben.
Hoffnungen auf ein baldiges Ende der politischen Krise in dem ostafrikanischen Land, die am 21. Oktober letzten Jahres durch einen gescheiterten Militärputsch ausgelöst worden war, haben sich damit zerschlagen: „Die relativ optimistische Einschätzung der Lage, die ich noch vor zwei Wochen hatte, ist zusammengebrochen“, bedauert ein westlicher Beobachter. Die Hauptstadt ist zum ersten Mal Schauplatz blutiger Gefechte geworden. In den ländlichen Provinzen des Kleinstaates, der nur etwa so groß ist wie Hessen und nicht einmal sechs Millionen Einwohner hat, sind in den letzten Monaten Zehntausende von Bauern mit ihren Familien Massakern zum Opfer gefallen. Mehr als eine halbe Million Flüchtlinge retteten sich in die Nachbarländer Ruanda, Tansania und Zaire.
Auslöser der jüngsten Unruhen ist ein verfassungsrechtlicher Streit: Nach langem Tauziehen hatten Abgeordnete aller im Parlament vertretenen Parteien den bisherigen Landwirtschaftsminister Cyprion Ntaryamira zum Nachfolger des beim Putschversuch ermordeten Präsidenten Melchior Ndadaye gewählt. Das Gesetz schreibt eigentlich allgemeine Wahlen vor, die aber angesichts der chaotischen Verhältnisse im Land derzeit nicht durchführbar sind.
Das Verfassungsgericht sollte die Wahl des Präsidenten absegnen und damit seine Amtseinführung ermöglichen – aber es ließ sich wochenlang Zeit. Erst nach der offiziellen Amtsübernahme Ntaryamiras jedoch werden 180 ausländische Soldaten nach Burundi einreisen, die im Auftrag der Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) die Mitglieder der Regierung schützen sollen. Solange sie nicht da sind, verschanzen sich die meisten Minister – wie schon seit Monaten – aus Angst in einem Ferienclub unweit Bujumburas. Burundis Regierung lebt derzeit in einem komfortablen Gefängnis. Diplomaten bezeichnen das Verhalten des Gerichts als „Obstruktion“. Die Regierung entließ schließlich „wegen schwerer Pflichtverletzung“ fünf der sieben Richter, die beiden anderen traten zurück: Anlaß für Regierungsgegner, seit Montag mit Blockaden und Protestkundgebungen Bujumbura lahmzulegen.
Das Militär hat sich allerdings offenbar nicht auf die Seite der Oppositionellen geschlagen. „Ich habe gesehen, wie der Uni-Campus Rohero von Soldaten umzingelt wurde, um Studenten an der Teilnahme an Demonstrationen zu hindern“, schilderte gestern ein Augenzeuge der taz. Er meinte allerdings auch: „Wenn die Armee wirklich durchgreifen wollte, dann könnte sie dem ganzen Spuk schnell ein Ende bereiten.“
Die Haltung des Militärs ist von ausschlaggebender Bedeutung. Ob die Mehrheit der Armee den Putsch vom Oktober unterstützt hatte – wie Jerome Ndiho, Sprecher der Regierungspartei Frodebu, glaubt – oder ob allenfalls zehn Prozent der Soldaten hinter dem Umsturzversuch standen, wie der parteilose Verteidigungsminister Charles Ntakije beteuert, dürfte bestimmen, ob die Regierung die Kontrolle über das Land zurückgewinnen kann.
Machtkampf unter ethnischen Vorzeichen
Noch im letzten Sommer hatte es so ausgesehen, als sei Burundi auf dem Weg zur Demokratie. Aus freien, international überwachten Wahlen war im Juni überraschend klar die bisherige Oppositionspartei Frodebu als Sieger hervorgegangen. Mit Melchior Ndadaye stand zum ersten Mal ein Vertreter der Bevölkerungsmehrheit der Hutu an der Spitze des Staates. Diese waren seit Jahrhunderten von der feudalen Minderheit der Tutsi beherrscht worden. Aufstände der Hutu wurden in den letzten 30 Jahren mehrfach blutig niedergeschlagen. 1972 fiel fast die gesamte Hutu-Elite einschließlich Studenten und Schulkindern Massakern zum Opfer.
Der Konflikt zwischen den ursprünglich viehzüchtenden Tutsi und den ackerbauenden Hutu wird heute von vielen Beobachtern als ein nur scheinbar ethnischer, in Wahrheit aber sozio-ökonomischer Konflikt gesehen. Die eindeutige Zuordnung zu einer der beiden Bevölkerungsgruppen ist für den einzelnen nach Generationen von Mischehen ohnehin nur deshalb möglich, weil in Burundi ausschließlich die väterliche Linie die Abstammung definiert. Ungeachtet dessen herrscht bei der Mehrheit der Bevölkerung ein starkes Zugehörigkeitsgefühl zur eigenen Gruppe – und tiefes Mißtrauen gegenüber der anderen.
Präsident Ndadaye hatte sich um eine Politik der nationalen Versöhnung bemüht. Er hatte Politiker der früheren Einheitspartei Uprona in sein Kabinett geholt und mit Sylvie Kingi eine Tutsi zur Ministerpräsidentin ernannt. Gleichzeitig aber hatte die Regierung eine Armeereform forciert, zahlreiche Posten bis hinunter auf die mittlere Ebene des Staatsapparates neu besetzt und rückkehrwilligen Flüchtlingen aus den vergangenen Jahrzehnten die Rückgabe ihrer Ländereien versprochen – ohne Rücksicht darauf, daß diese inzwischen mehrfach den Besitzer gewechselt hatten.
„Das waren Fehler. Die Regierung ist zu schnell vorgegangen“, meint Marc Deltour. Der belgische Journalist hat den Besuch einer internationalen Menschenrechtskommission vorbereitet. Zum ersten Mal in der Geschichte waren nach dem Putschversuch bei Massakern auch Tausende von Tutsis ums Leben gekommen. Die schnelle Reaktion zahlreicher Bauern auf die Nachricht vom Putschversuch und die professionellen Straßenblockaden ließ ausländische Beobachter an die Beteiligung gut vorbereiteter paramilitärischer Gruppen glauben. Deltour bezieht in diesem Zusammenhang klar Stellung: „Das Militär hat den Putsch begonnen und damit die Gewalt provoziert.“
Die jüngste Eskalation spielt Extremisten beider Lager in die Hände: Hutu-Radikalen, die allen Tutsi Rache geschworen haben ebenso wie Tutsi-Reaktionären, die sich nicht mit einem Verlust ihrer Privilegien abfinden wollen. Nicht ausgeschlossen wird in Bujumbura, daß hinter den Ereignissen der letzten Tage ein Politiker steckt, der hofft, mit Gewalt an die Macht zurückkehren zu können: Burundis ehemaliger Militärherrscher Jean-Baptiste Bagaza.
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