Aus den Niederungen des FC St. Pauli: Die Suche nach dem falschen Schuldigen
■ Während Schlindwein Kapitän bleibt, sucht Eichkorn nach dem „Verräter“
Der Mythos des FC St. Pauli als der etwas andere Klub hat durch die peinliche Entgleisung von Mannschaftskapitän „Eisen“-Dieter Schlindwein, der Publikums-Liebling Leo Manzi im Trainingslager als „Schwarze Sau“ titulierte, einen derben Dämpfer erhalten.
Allzu gerne kokettiert man am Millerntor damit, sich für Minderheiten einzusetzen und ausländerfreundlich zu sein. Seit Jahren legt der Verein viel Wert auf die Identifikation mit dem Publikum, ist gerade deshalb bei den Fans so beliebt. Die große St. Pauli-Familie zelebriert - häufig mit Erfolg und Überzeugungskraft - die Alternative zur rein profitorientierten Ware Bundesliga-Fußball. Nun sollte man aber nicht glauben, daß jeder Fußball-Profi, der seine Stiefel für den FC St. Pauli schnürt, dies aus Liebe zum legendären Kiezclub tun würde und voller Sympathie mit der Gegengeraden ist. Das war vor fünf Jahren in der Bundesliga auch nicht so. Doch zu diesem Zeitpunkt hatten Kapitän Jens Duve, Torwart-Denkmal Volker Ippig und André Golke das Sagen in der Mannschaft. Drei Spieler, die sich mit dem Verein und dessen Fans identifizierten und die sicherlich schon am „Tatort“ anders reagiert hätten. Schlindwein hätte mit seinen peinlichen Entgleisungen keine Chance gehabt. Doch die Zeiten haben sich geändert. Dieter Schlindwein, Dirk Zander und Keeper Andreas Reinke haben jetzt das Sagen, geben den Kurs an - die Spieler folgen. Wer aufmuckt, hat schlechte Karten. Wohl deshalb wagte keiner, „Eisen“-Dieter anzugreifen und dem Underdog Leo Manzi den Rücken zu stärken. Nach dem Ultimatum von Heinz Weisener an Trainer Seppo Eichkorn waren es nämlich Zander und Schlindwein, die die Ehren-Erklärung für Seppo initiierten und nicht zuletzt damit seinen Kopf retteten. Seitdem ist Seppo den beiden treu ergeben, begreift überhaupt nicht die skandalösen und nicht erstmaligen Pöbeleien seines Kapitäns. Das ist zu wenig, zumal Eichkorn nur ein Ziel hat: Er will wissen, wer der Verräter ist, der die Informationen weitergegeben hat. Es ist schon etwas einfältig, wenn der Trainer des FC St. Pauli den Informanten zum Sündenbock macht und dem Übeltäter Schlindwein noch den Rücken stärkt. Armes St. Pauli.
Und die Vereins-Bosse: Heinz Weisener erhöhte die Geldstrafe von 250 Mark (von Eichkorn im Trainingslager ausgesprochen) auf die stattliche Summe von 5000 Mark. Außerdem mußte Schlindwein zum Rapport bei „Pappi Weisener“, wo einige laute Worte fielen. Auch Vize Christian Hinzpeter war entsetzt, äußerte Betroffenheit und zeigte sich erbost, ob der Dummerhaftigkeit von Schlindwein.
Die Spieler hatten noch die Möglichkeit, den Fans gegenüber ein wenig glaubwürdig zu bleiben, aber die ließen sie aus. In einer geheimen Abstimmung wurde Schlindwein als Kapitän mit 19:1 Stimmen in seinem Amt bestätigt. Damit sorgten sie dafür, daß viele Fans - und die stehen nicht nur in der Gegengeraden - angedroht haben, ihre Dauerkarten zurückzugeben, falls der FC St. Pauli nicht härter gegen „Schlind“ durchgreift. Viele Fan-Gruppen planen bereits für das Heimspiel gegen den FC Homburg einen Boykott. Bleibt zu hoffen, daß die Pauli-Fans nach dem 1:0 durch Marcus Marin nicht gleich wieder zur Tagesordnung übergehen und sich mit dem Traum von der Rückkehr in die Bundesliga befriedigen.
Pille
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