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Der Künstler als Psycho

Die Welt als Vorstellung vom Verfall – Mit Damien Hirst, DAAD-Stipendiat, Spezialist für ältliche Kälber, Haifische und außerdem Englands derzeit größte Hoffnung in Sachen Konzept-Kunst, sprachen  ■ Brigitte Werneburg & Harald Fricke

taz: Ihre Ausstellung in Berlin widerspricht den gängigen Erwartungen an Ihre Arbeiten. Keine Tiere, Fische, Vitrinen, sondern „Beautiful Drawings“, ist das neu, oder was ist daran neu?

Ich denke, es gibt keinen Unterschied. Das ist eine Installation, und sie geht mit dem Galerieraum gut zusammen. Ich mag die Idee, etwas sich Bewegendes zwischen mich und das Papier zu setzen, ein Ding, das produktiv wird. Ansonsten herrscht schon genug Statik, da kommt nichts Neues bei raus.

Die Größe der Galerie entspricht einem Würfel, dem „White Cube“. Hat diese Sichtweise einen Bezug zu Ihren Arbeiten?

Ja, ich kann den Kasten meiner Malmaschine als ein Modell des Raumes sehen. Da ist der Galerieraum, der Kasten, der Rahmen, die Zeichnung, es stapelt sich ineinander. Es ist eine Art Studio-Situation eines Konzept-Künstlers. Die Leute werden in den Prozeß der Herstellung der Kunst involviert, genau an dem Ort, wo Kunst ausgestellt wird. Vor allem dann, wenn man zu ihnen sagt: „He, mach' doch eine Zeichnung.“ Zunächst scheuen sie sich, es vor allen Leuten zu tun, aber es gibt dieses Schwungrad, das jeder bedienen kann und damit verliert sich dieses Bewußtsein seiner selbst. Wenn in Nordengland — von wo ich herkomme — Leute in Galerien gehen, hört man sie beim Rausgehen sagen: „Das könnte ich auch machen.“ Sie sollen es tun und erfahren, wie es ist, Künstler zu sein.

Sie wurden in einer Zeitspanne von nur einem Jahr, nämlich 1990, zu einem der meist gezeigten, meist diskutierten Gegenwartskünstler. Ihre ersten Medikamenten-Schränke erinnern daran, daß 1921 ein amerikanischer Maler sagte, Kunst in Amerika ist ein Medikament oder ein Staubsauger: Erfolg hat sie dann, wenn 90 Millionen Leute sofort wissen, worum es dabei geht. Jeff Koons, der Künstler mit den Staubsaugern, hatte ebenfalls explosiven Erfolg. Stimmen Sie mit einem solchen Realismusbegriff überein?

Ich habe darüber nie nachgedacht. Ich dachte immer nur, daß Medizin wesentlich erfolgreicher als Kunst in ihrer Kommunikation mit der Öffentlichkeit ist, daß sie mehr anzubieten hat. Deshalb habe ich die Medikamenten-Schränke gemacht. Außerdem ist es eher ironisch: Diese enorme Macht, die angeblich in den Arzneimitteln steckt – du kannst für immer leben. Mit dieser Hoffnung kommen die Pharmazieunternehmen auf einen zu. Wie die Künstler oder die Kunst, die lange währt, während das Leben nur kurz dauert.

Sind die Schränke auch so eine Art Paradies „in böser Absicht“? Oder ist das zu melodramatisch gesehen?

Ich hoffe und denke, daß diese Arbeit auf mehreren Ebenen gelesen wird, und Melodram ist dabei sicher ein Element. Allerdings versuche ich auch zu unterdrücken, melodramatisch oder romantisch zu sein. Aber wahrscheinlich läßt es sich nicht vermeiden.

Nun existieren eingefrorene Momente in den Installationen wie der totenstarre Schmetterling auf einer monochromen Leinwand. Gibt es keinen Ausweg, selbst außerhalb der Vitrine?

Eine meiner Absichten ist es, den Künstler als Psycho, als psychotische Person anzusehen, selbst die Titel zeugen davon. Jeden Tag gehst du in dein Studio und da ist dieses sich drehende Ding, es endet nie, du bist nie zufrieden. Die Zeichnungen sind ein Symbol für diese Situation. Am Ende sehen sie schön aus, aber der Prozeß dorthin bleibt unbefriedigend.

Wo liegt da der Unterschied zwischen dem psychotischen Künstler und der Arbeit am Fließband?

Es ist das Gleiche. Ich trage immer diese Idee mit mir, die Galerie in eine Werkstatt zu verwandeln.

Vor allem beschäftigen Sie sich mit der Idee von Teilung, sei es Ihr Selbstportrait neben dem abgetrennten Kopf eines Toten oder das gespaltene Kalb. Alles erzeugt Ekel und Angst. Kann man als Künstler der Gesellschaft nur mit Abneigung oder Trauer begegnen?

Ich sehe da keinen großen Widerspruch. Man kann das eine und das andere tun. Oder es ist eben die Feier des Widerspruchs: Ich kann nicht vorwärtsgehen und nicht rückwärts, so here I am. Man kann nicht nur einer Seite folgen und perfekt funktionieren. Das erste Mal, als ich eine Vitrine gebaut habe, war für mich die Frage da, wie ich etwas einschließe. Es war eine Überraschung, dieses Ding aus Stahl und Glas zu bauen, der billigste und effektivste Weg, einen Raum zu erzeugen, der gleichfalls aufgeteilt war. Später hatte alles, was ich machte, diesen Kubus oder Kasten um sich. Ich hätte das vermeiden können. Aber es ging ja darum, den Raum auch zu zerteilen. Wir alle haben das Rechteck, wir leben drin, wir alle haben den Kreis – wenn man sich allein die Kreise und Rechtecke anschaut, nur hier an diesem Tisch.

Ihre Schaukästen und Vitrinen erinnern an das Museum des 19. Jahrhunderts, das als Geschichten vermittelndes Museum galt, so wie das Völkerkundemuseum. Eine gewisse Berührungsangst kommt vielleicht daher, daß man in Ihren Objekten die Symbiose von Betrachtung und Gewalt, von gewaltsamer Aneignung toter Dinge so stark spürt?

Die Gewalt ist sowieso vorhanden, wenn man als Künstler das Leben behandelt. Der Hai und die anderen Vitrinen sind tatsächlich Teil einer Serie, die „Natural History“ heißt. Was mich nun am Naturkundemuseum interessiert, ist, daß Leute aus allen Schichten zusammenkommen, einfach um zu schauen. Das ist ein Kunstding, nicht diese Kategorien „sozialer Kontext“, „Gewalt“, „Horror“. Für mich ist es das ideale Bild: Ich glaube, wenn man aus einem Museum für moderne Kunst all die Gefühle rausnimmt, dann endet man im Natural History Museum.

Aber sind nicht mehr Gefühle an dieses Museum gebunden als an moderne Kunstgalerien?

Vielleicht in Hinblick auf Gefühle der Nostalgie, aber nicht, was die Gefühle den Dingen gegenüber betrifft, die ausgestellt sind. Der Unterschied zwischen Kunst und Leben interessiert mich. Ich denke, Kunst muß vom Leben handeln. Man versucht immer, die Kunst näher an das Leben heranzurücken, sie lebendiger zu machen. Aber der Versuch endet immer in Kunst.

Heißt das, auf Ihre Arbeit angewendet, daß der Tod keine Angelegenheit des Lebens ist, wie Wittgenstein sagte?

Ich arbeite, und dann habe ich das Gefühl, ich hab's kapiert, ich lebe, das ist es. Und dann – Mist, aber das tue ich doch die ganze Zeit. Und dann bin ich wieder in der gleichen Situation. Man kann kein Leben in tote Objekte bringen. Visuell schon, der Betrachter macht das. Leben geht jedoch um alles und über alles, der Tod geht um nichts, über nichts. Aber hinsichtlich des Kunstwerks gibt es kein „nichts“, schon deshalb ist es Leben. Ein schwarzer Würfel ist ein schwarzer Würfel, er ist nicht nichts.

In Installationen wie dem verwesenden Kuhschädel mit Fliegen geht es darum, etwas Verfallendes zu schützen. Lieben Sie das Spiel mit solcherart Paradoxien?

Ich glaube nicht, daß es so einfach geht. Es ist eine Art negativen Einschließens: Was passiert, wenn man die Vitrine von dem kostbaren Gegenstand abzieht, den sie beschützt? Außerdem kann man dich damit bei Gruppenausstellungen nicht in der Ecke verstecken. Vorher habe ich Schwittersartige Collagen gemacht, und irgendwann habe ich mich ernsthaft gefragt, was passiert mit diesen winzigen Stoffresten und dem Holz, und ich dachte, jetzt geht es auch mir so, daß ich Sachen schützen muß. Sicher kann ich nicht vermeiden, daß meine Arbeiten in zehn Jahren nostalgisch wirken, aber das hat auch seine komischen Seiten.

Vielleicht, weil Frische ein Symptom für den permanenten Abnutzungsprozeß moderner Kunst ist, wie im Werdegang von Koons.

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Ich kann mir nicht helfen, aber ich mag ihn, alles, was er gemacht hat. Sobald du ein Kunstwerk gemacht hast, bist du darin tot.

Trotzdem könnte man Ihre wilden konzeptuellen Arbeiten auch als eine Reaktion auf Koons „Basketbälle“ sehen, und darauf, daß Sammler wie Saatchi & Saatchi seine Arbeit in England damals als „New York Art Now“ gezeigt und gefördert haben?

Ja, das hat sicherlich auch damit zu tun gehabt. Aber für mich waren es besonders die Räume meiner Studienzeit – große Räume, in denen du arbeiten konntest, damals am Goldsmith College.

Man muß in England ein seltsames Verhältnis zum Raum haben: Bildhauer machen gigantische Skulpturen und die Menschen leben in unbezahlbaren Miniwohnungen?

Vielleicht bin auch ich ein Produkt dieser Zustände. Hier in Deutschland gibt es doch auch diese wuchtigen Maler wie Richter oder Penck. Die Größe von Kunstwerken ist Sache des Ego. Sie sollte aber im Verhältnis zu den menschlichen Maßen stehen. Ich mag immer noch nicht glauben, daß jemand ein riesiges Bild malt, weil es von sich aus diese Maße braucht. Der Hai in der Vitrine hat mit dem Verhältnis zum menschlichen Körper zu tun. Ich möchte die Arbeit nicht nur der Einbildungskraft überlassen, sie soll auch physisch angreifen. Die Brechung besteht darin, daß du jederzeit spürst, nicht mit so einem Ding im gleichen Wasser schwimmen zu wollen. Dazu kommt der Titel, den ich sehr funky finde: „The Physical Impossibility of Death in the Mind of Someone Living“.

Haben Sie nicht Angst, als Künstler nur noch über den Hai definiert zu werden, ohne daß Sie die Möglichkeit haben, sich selbst auf etwas anderes festzulegen?

Das stört mich nicht, ich sehe da keinen Unterschied.

Es ist schon ein Unterschied, ob man als miterstarrte Ikone oder als Prozeß-Künstler gilt.

Nein, so denke ich darüber nicht. Ich könnte morgen eine Herde Elefanten machen – um den Hai kleiner wirken zu lassen.

Die Ausstellung „Beautiful Drawings“ in der Galerie Bruno Brunnet Fine Arts in Berlin dauert noch bis zum 10.2.

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