: Ein schießender Füllfederhalter als Exportschlager
■ Der illegale Waffenexport aus Rußlands Fernem Osten nach Japan floriert
Moskau (taz) – Im Hafen der japanischen Stadt Otaru herrscht „erhöhte Alarmbereitschaft“, sobald ein russischer Frachter aus Wladiwostok oder Sachalin einläuft. Der japanischen Polizei steht dann ein Großkampftag bevor. Der illegale Waffenexport aus Rußlands Fernem Osten zählt zu den profitabelsten Wachstumsbranchen. Nicht alle sind so harmlose Kleindealer wie Matrose Igor Chidschenko, den die Japaner beim Schmuggel einer Smith & Wesson dingfest machten, oder wie sein Kollege Igor Jufi vom Frachter SPP-012, der eine Handgranate unter die Leute bringen wollte. Die japanischen Sicherheitsbehörden sprechen von einer riesigen Welle illegaler Transaktionen. Ihnen und ihren russischen Kollegen gelänge es nur gelegentlich, ein paar „Amateure“ festzunehmen. An den organisierten Waffenhandel kommen sie jedoch nicht heran. Grund dafür: Die Halbwelt des russischen Ostens hat sich seit langem mit der „Jakudza“ – Japans Unterwelt – fraternisiert. Ihre Kooperation funktioniere ohne grobe Schnitzer. Die japanischen „Agenten“ in Sachen Waffenexport unterhalten in mehreren Städten Depots und Handelsvertretungen im Namen ihrer russischen Counterparts. – Der schwungvolle Handel im Osten ist nicht zufällig. Rußlands Ferner Osten galt immer als besonders hochgerüstet. Unzählige Garnisonen und Waffendepots befinden sich hier. In Komsomolsk am Amur, dem Zentrum des militärisch-industriellen Komplexes, lassen sich Fachleute finden, die sich auf die Herstellung jeglicher Waffen verstehen. Besonders großer Nachfrage erfreut sich ein „schießender Füllfederhalter“, der in Untergrundwerkstätten angefertigt wird. Er kommt gleich nach dem weltweiten Exportschlager, der Kalaschnikow, die in Europa für 100 Dollar erhältlich ist.
Dem Stockholmer Sipri-Institut zufolge haben nicht einmal Mitarbeiter zentraler Stellen genaue Vorstellungen, wieviel „hardware“ in osteuropäischen Waffendepots herumliegt. Zu Zeiten des Warschauer Paktes füllte der Kreml die Waffenkammern der ehemaligen Verbündeten mit riesigen Mengen auf. Während des chaotischen Zerfalls der UdSSR und dem folgenden Abzug sowjetischer Einheiten nahm keiner eine ernsthafte Inventarisierung vor.
Für viele Soldaten wurde das Waffengeschäft zum einträglichen Hauptverdienst. Auf dem Flohmarkt in St. Petersburg bietet ein ehemaliger Rotarmist mit an den Mantel gehefteten Farbfotos seine Angebotspalette feil: Gewehre, Pistolen, Kalaschnikows, schwere und leichte Artilleriegeschütze. Lieferung ins Hotel – nach Anzahlung – frei.
Der Umfang erwerbbaren Kriegsmaterials aus Rußland dürfte auf längere Sicht nicht wesentlich schrumpfen. Die Konversionsprogramme wirken sich nur marginal auf die Mengenproduktion aus. Meist stehen sie lediglich auf dem Papier. Obwohl die staatlichen Aufträge stark zurückgegangen sind, drosselte der militärisch-industrielle Komplex seine Produktion nicht entsprechend. Häufig arbeiten die Betriebe auf eigenes Risiko weiter. Insgesamt sank der russische Waffenexport zwischen 1987 und 91 von einem ehemaligen Weltmarktanteil von 39 auf etwa 18 Prozent. Viele Rüstungsmagnaten spekulieren längerfristig auf ein legales Anwachsen des russischen Marktanteils.
Solange produzieren sie zwangsläufig auch für einen absorptionsfähigen Schwarzmarkt. Zudem gelang es der Rüstungslobby nach dem Regierungsrevirement in Moskau, nicht nur den Druck auf die Entscheidungsträger zu vergrößern, sie nahm selbst wieder am Kabinettstisch Platz.
Erheblich größeres Gefahrenpotential geht von den immer häufiger gemeldeten Zwischenfällen mit spaltbaren Materialen aus. Unlängst entdeckten polnische Zöllner in einem Reisebus aus dem ukrainischen Lwiw (Lemberg) sieben Container radioaktiven Materials, wahrscheinlich Caesium. Der Geigerzähler hatte Alarm geschlagen. Die nichtsahnenden Passagiere waren einer gefährlichen Strahlendosis ausgesetzt.
Die Ausfuhr nuklearer Substanzen läßt sich nur schwer überprüfen. Seit längerem erledigen Firmen, die dem Moskauer Atomministerium unterstehen, ihre Exporte selbst. Zusätzlich vertreiben private Unternehmen und Schwarzhändler Beryllium, Graphit und Zirkonium auf eigene Faust. Selbst kleine Mengen Plutonium und angereichertes Uran bieten sie an. Wo die Grenzen zwischen Exporten mit ministerieller Ausfuhrgenehmigung und Schwarzmarktdealen liegen, läßt sich heute nicht mehr genau bestimmen. Neben den „halbstaatlichen“ Firmen beteiligen sich auch korrupte Angestellte der Atomanlagen an den Verschiebungen, ganz zu schweigen vom Kriminellenmilieu der gesamten GUS.
Es wird befürchtet, daß die „Nuklearmafia“, die nach dem Zerfall der UdSSR zunächst wenig professionelle „Marktforschung“ betrieb, demnächst effizienter und sachkundiger vorgeht. Ihre potentielle Kundschaft stammt aus Staaten der Dritten Welt. Von Terroristen, denen das reine radioaktive Material als Erpressungsmittel reicht, bis zu Staaten, die selbst an einer Bombe basteln. Klaus-Helge Donath
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen