: Wenn die Bretonen in Wut geraten
Weitere Proteste gegen außereuropäischen Billig-Fisch / Nach der militanten Fischerdemonstration in Rennes ging das alte bretonische Parlament in Flammen auf ■ Aus der Bretagne Dorothea Hahn
„Bis ein Bretone in Wut gerät, dauert es lange. Aber wenn es so weit ist, kann ihn nichts mehr aufhalten.“ Der Geschäftsmann in Frankreichs zweitgrößter Fischereistadt weiß, wovon er redet. Er steckt selbst in einer bretonischen Haut und, obwohl er mit Schreibwaren handelt, ist er, wie fast all seine Landsleute auch, ein Opfer der Fischkrise. In den letzten Monaten ist er deswegen mehrfach auf die Straße gegangen. Daß es beim Besuch von Premerminister Edouard Balladur am Freitag in der bretonischen Hauptstadt Rennes knallen würde, war ihm wie den meisten BretonInnen klar. „Die Politiker haben das zu verantworten“, sagt er. „Die haben doch die Grenzen für fremde Billigprodukte aufgemacht, ohne die Konsequenzen zu bedenken.“
Außer der Fischerei – die in Lorient mit „handwerklichen“, „semi-industriellen“ und den 45 Meter langen „industriellen Booten“ betrieben wird und einem U-Boot- Hafen gibt es in der südbretonischen Stadt keine nennenswerten Erwerbszweige. Der Versuch, neue Investoren anzuziehen, ist gründlich mißlungen. Der eigens dafür entstandene Stadtteil steht weitgehend leer. Die Militärs sind dabei, ihre Sachen zu packen – mit dem Ende des Kalten Krieges ist die U-Boot-Werft überflüssig geworden. Das einzige, das der 1660 für den Kolonialhandel angelegten Stadt noch bleibt, ist die Fischerei. In allen Schaufenstern hängt daher das gelbe Schild: „Solidarisch mit dem Fischfang in der Krise“. Von jedem Fischer in See hängen hier fünf Arbeitsplätze an Land ab.
Der Fischereihafen liegt am Ende der Straße zum Meer. Ein paar Möwen kreischen über dem hellblau und türkis getünchten halbrunden Gebäude. Seit Montag vergangener Woche ist hier keine neue Ware mehr angekommen – seit die Fischer von Lorient beschlossen haben, die Arbeit niederzulegen. An diesem Samstag mittag hat das örtliche „Überlebenskomitee“, das in diesen Tagen die zentrale politische Rolle in der Bretagne spielt, die Fischer wieder zusammengerufen. Über 100 Männer und gut ein Dutzend Frauen stehen dicht gedrängt in dem engen, verrauchten Saal im ersten Stock.
Fast alle waren am Vortag bei der Demonstration in Rennes. „Die haben uns verarscht“, ruft eine Frau unter großem Beifall in den Saal. Das von Premierminister Balladur angesichts der massiven Proteste eilig zusammengeschnürte Paket – niedrigere Sozialbeiträge, ein garantierter Mindestlohn und Härtefallhilfen – reicht ihnen nicht. Die von der Europäischen Kommission auf Balladurs Wunsch beibehaltenen Mindestpreise für sieben Fischsorten liegen noch unter dem Marktpreis. In Lorient wie in der ganzen Bretagne ist der Beschluß, weiter zu streiken, schnell gefaßt. Ganz egal, ob die Fischer in den übrigen französischen Atlantikhäfen wieder ausfahren.
Die meisten französischen Fischer hatten noch bis Anfang der 80er Jahre gute Löhne. Heute verdienen viele unter 1.000 DM im Monat. Die Selbständigen sind „bis zum Haaransatz verschuldet“, wie sie mit einer Geste verdeutlichen. In den vergangenen Monaten hat deswegen manch einer sein nagelneues Boot verkaufen müssen.
Die Nerven der Fischer und ihrer Frauen sind aufs äußerste gespannt. Viele kommen gerade von einer mehrtägigen Protesttour zurück. In Bussen sind sie dorthin gefahren, wo sie den billigen Importfisch vermuten, der sie um ihre Einkünfte bringt: Sie waren in dem größten Einfuhrhafen Boulogne- sur-Mer nahe der belgischen Grenze, auf dem Großmarkt von Paris in Rungis und in zahlreichen Supermärkten. Vier Tage lang haben sie in Bussen übernachtet, Kühlhäuser aufgebrochen, Katz und Maus mit der Polizei und Werkschützern gespielt, ausgeräumten Importfisch an Passanten verschenkt und Flugblätter auf der Autobahn verteilt.
Die 35jährige Janneck war eine der vier Ehefrauen, die mitgefahren sind. Vor einem Jahr, als die ersten großen Proteste Paris aufschreckten, trat die zierliche Bretonin der Fischerfrauengruppe bei: „Wir wollten unsere Männer nicht allein lassen.“ Die Fischerfrauen, deren Männer von Sonntag bis Freitag auf dem Meer sind, fuhren zu den Eurokraten nach Brüssel, schrieben Flugblätter und demonstrierten in Paris. Inzwischen sind sie bei jeder Versammlung mit dabei.
Die Hausfrau und Mutter Janneck, die bis vor einem Jahr „nichts mit Fischerei zu tun hatte“, kennt inzwischen alle Details europäischer Fischereipolitik. Bei jeder Aktion stellt sie fest, daß „die Leute fast nichts über uns wissen“. Bei jeder Konfrontation mit Politikern und Gewerkschaftern spürt sie, daß „niemand uns vertritt“.
Für alle Fische, die nicht aus der Europäischen Union kommen, wollen die Fischer und ihre Frauen die Grenzen schließen oder zumindest so hohe Steuern einführen, daß die Preise das französische Niveau bekommen. Gegen den – ebenfalls billigeren – britischen und spanischen Fisch haben sie nichts einzuwenden. Aber der russische, der chinesische, der norwegische – der ist ihnen zuviel. Den Gedanken an die Familien der russischen Fischer verdrängt Janneck. „Es klingt hart, aber die Wahl heißt tatsächlich: entweder die oder wir. Und wir können nicht für alle sorgen“, sagt sie.
In der 150 Kilometer entfernten bretonischen Hauptstadt Rennes, wo Janneck und die Ihren am Vortag an der militantesten Demonstration teilgenommen hatten, die die Provinzstadt je erlebte, rauchen an diesem Samstag immer noch die Ruinen des alten Parlaments. Das Gebäude aus dem 17. Jahrhundert war wenige Stunden nach dem Abzug der letzten Fischer am Vorabend in Flammen aufgegangen und völlig ausgebrannt. Die Justiz vermutet eine während der Demonstration abgefeuerte Leuchtrakete als Ursache. Hinter Absperrgittern stehen Tausende von Schaulustigen. „Eine Schande“, sagt ein alter Mann, „daß ausgerechnet dieses Gebäude, das für unsere Unabhängigkeit von Paris steht, verbrennt.“
In den Geschäftsstraßen rundum haben die Straßenschlachten Spuren hinterlassen. Schaufenster sind notdürftig mit Holz verschalt, das Pflaster an vielen Stellen aufgebrochen. Sechs Stunden lang haben hier vermummte und teils behelmte Demonstranten und die mit Schildern und Helmen bewehrte CRS-Einsatzpolizei miteinander gekämpft. Im Gewühl war eine schwarze Fahne mit Totenkopf, eine andere mit der Aufschrift „Revolution“ zu sehen. Am Sonntag lagen immer noch 70 Verletzte beider Seiten in den Krankenhäusern von Rennes. „Nicht einmal 1968 in Paris gab es soviel Brutalität“, sagten Augenzeugen.
Für den konservativen Premierminister Balladur, dessen Besuch den Anlaß für die Demonstration bot, war es die härteste Konfrontation seit Beginn seiner Amtszeit vor zehn Monaten. Kaum hatte er Rennes verlassen, gingen die Schuldzuweisungen für die Straßenschlachten los.
Ein „Überlebenskomitee“ von Fischern bezeichnete den Brand als „Provokation“. Der sozialistische Bürgermeister von Rennes beklagte, daß seine Stadt viel zu schlecht geschützt worden sei. Und in Paris machte Innenminister Charles Pasqua „Kaputtmacher und Schläger“ für alles verantwortlich.
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