Pazifische Krisenstimmung

Nach dem gescheiterten Handelsgipfel bereiteten sich Washington und Tokio auf die Konfrontation vor / Japan verweigert die Festlegung von Zielgrößen für Importe in die USA  ■ Aus Tokio Georg Blume

Der Schnee, der am Wochenende sowohl Washington wie Tokio bedeckte, verbreitete eine scheinbar trügerische Ruhe. Kaum waren die Gipfelgespräche zwischen US-Präsident Bill Clinton und dem japanischen Premierminister Morihiro Hosokawa am Freitag gescheitert, machten die Verantwortlichen in Tokio und Washington den Eindruck, als würden sie sich auf einen Handelskrieg zwischen den beiden größten Wirtschaftsmächten der Welt vorbereiten.

Im Weißen Haus zog sich der Nationale Wirtschaftsrat, dem Bill Clintons engste Berater angehören, zu geheimnisvollen Beratungen über bevorstehende Handelssanktionen gegen Japan zurück. Währenddessen gaben die Vorsitzenden der japanischen Unternehmerverbände ihren Aufrufen eine ungewohnte Dramatik, welche die Japaner vom Beginn eines neuen Zeitalters pazifischer Handelskonfrontation überzeugen sollte.

Um Japan zur Öffnung seiner Märkte für amerikanische Waren zu zwingen, werde man „schnell, verantwortungsbewußt und vorsichtig“ eingreifen, sagten amerikanische Regierungsbeamte am Wochenende. Nach Berichten der Washington Post hatte sich die amerikanische Regierung bereits am Samstag dazu entschlossen, Importsanktionen gegen Japan zu verhängen. „Wir würden sonst die Kontrolle über den Verhandlungsprozeß verlieren“, sagte ein Regierungsbeamter.

Bereits die ersten Erklärungen des japanischen Premierministers Morihiro Hosokawa nach seiner Rückkehr aus Washington ließen vermuten, daß ihm die Lage ernst erschien: „Wir wollen uns aus eigener Initiative für schnelle Marktöffnungsmaßnahmen einsetzen.“ Morihiro Hosokawa warf Clinton vor, daß beide Seiten in den Handelsgesprächen bereits „80 bis 90 Prozent Übereinstimmung“ erzielt hatten, der amerikanische Präsident aber dennoch das Ergebnis, das er, Hosokawa, ihm vorgeschlagen hätte, abgelehnt habe. Noch in Washington hatte Hosokawa die Ansicht vertreten, daß das Scheitern der Verhandlungen nicht unmittelbar zu Sanktionen seitens der USA führen werde.

Mehr noch als die Worte der Regierungschefs verstärkten die einhelligen Reaktionen der betroffenen Wirtschaftsverbände sowohl in den USA als auch in Japan die Krisenstimmung. Einmütig stellten sich die sehr einflußreichen japanischen Unternehmerverbände auf die Seite ihrer bedrängten Regierung. „Es war unvermeidlich“, kommentierte Arbeitgeberpräsident Gaishi Hiraiwa den Bruch mit Washington. Tageshi Nagano, Chef von Mitsubishi Chemie, warnte: „Die Beziehung zwischen Japan und den USA befindet sich nun in einer kritischen Lage.“ Explizit setzten sich jedoch die japanischen Unternehmer dafür ein, daß Japan dem Drängen der US- Regierung nach der Bestimmung fester Zielgrößen für Importe in die USA nicht nachgebe.

Genau an diesem Punkt waren Clinton und Hosokawa während ihrer mehrstündigen Verhandlungen am Freitag nicht weitergekommen. Während die Amerikaner darauf bestanden, zukünftige Importziele im Sinne einer effektiven Marktöffnung zahlenmäßig festzulegen, lehnten die Japaner dies als unzulässigen Eingriff in den Freihandel ab. Dreh- und Angelpunkt der Verhandlungen war das Beispiel des schon 1986 zwischen beiden Ländern geschlossenen Abkommens über den Import von Halbleitern nach Japan. Dabei wurde in der US-Interpretation ein japanischer Marktanteil von zwanzig Prozent für amerikanische Halbleiter vereinbart und später auch erreicht. Seither galt das Halbleiterabkommen in Washington als großer Erfolg und sollte in den jetzt gescheiterten Gesprächen als Vorlage für Abkommen in den Bereichen Telekommunikation, Versicherungwesen, Automobile und medizinische Geräte dienen.

Japan widersetzte sich dem vehement. Erneut bezeichneten Beamte des Wirtschaftsministeriums Miti am Wochenende das Halbleiterabkommen von 1986 als „Fehler, den man nie wiederholen darf“. Gleichzeitig räumten die Miti-Beamten ein, daß Japan nun über keine weitere Verhandlungsstrategie verfüge. Das sei allerdings auch nicht unmittelbar erforderlich, weil US-Sanktionen gegen Japan auf die USA zurückschlagen würden. „Sogar wenn sich die USA für Sanktionen entscheiden sollten, werden sie kaum Maßnahmen finden, die nur Japan schaden“, frohlockte der Miti-Beamte vor dem Hintergrund gegenseitiger technologischer Abhängigkeit.

Kongreßabgeordnete und Unternehmer in Washington drängten dessen ungeachtet auf eine schnelle Entscheidung für Sanktionen. „Zwei sehr große Lastwagen sind zusammengestoßen. Jetzt müssen wir die Teile auseinandernehmen, und das wird nicht leicht sein“, warnte Robert Hormats, Vizevorsitzender des US-Wertpapierhauses Goldman Sachs. Richard Gephardt, Führer der Demokraten im Repräsentantenhaus, kündigte an, daß die USA nicht mehr stillhalten werden: „Jetzt ist die Zeit zum Handeln.“