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Wir Leute dunkler als blau

Curtis Mayfield, nach einem Unfall auf der Bühne gelähmt, hofft „einer dieser Typen mit einer glaubwürdigen Vita“ zu sein. Diverse Tribut-Alben an den Soul-Star, Gesellschaftskritiker und Bürgerrechtler geben ihm recht.  ■ Von Jörg Feyer

Die Kamera fixiert ihr Objekt wie ein Greifvogel im Sturzflug sein nächstes Opfer. Curtis Mayfield liegt hiflos – Arme und Beine flach ausgestreckt, den Blick schräg überkopf an die Decke geheftet – auf seinem Bett, umgeben von allerlei Hausrat, im Hintergrund funkelt schwach eine Goldene Schallplatte.

Das Foto eröffnete letzten Herbst im amerikanischen Rock- Magazin Rolling Stone das erste Interview, das der 51jährige Musiker aus Chicago seit jenem schwarzen Tag im August 1990 geben konnte. Etwa 10.000 Menschen hatten damals in einem Park in Brooklyn/N.Y. auf den Auftritt von Curtis Mayfield gewartet. Was dann geschah, schildert er selbst so: „,Hier kommt Curtis Mayfield‘, schrie der Ansager, und ich nahm die Stufen hinauf zur Bühne. Oben angekommen, ging ich drei oder vier Schritte. Doch dann lag ich plötzlich völlig flach auf dem Boden – ohne Gitarre, ohne Schuhe, ohne Brille, völlig gelähmt.“ Ein Beleuchtungsmast hatte Mayfield unter sich begraben, er konnte nur noch Nacken und Kopf bewegen.

Der Bühnenunfall wog um so schwerer, als zuvor gerade eine Mayfield-Renaissance eingesetzt hatte. HipHop-Crews (EPMD, Digable Planets, Queen Latifah) bedienten sich in seinem Songbook: „Give Me Your Love“, sicherlich die meistgenutzte Mayfield-Phrase, eignete sich ja auch hervorragend, um sie als gesampelte Endlosschleife einer Wiederverwertung zuzuführen, die der Autor selbst als „neue Form künstlerischen Schaffens“ begrüßte. Mit Ice-T, der aus Mayfields „Pusherman“ kurzerhand „I'm Your Pusher“ machte, arbeitete er sogar an einem Soundtrack für das Remake des 72er-Blaxploitation-Movies „Superfly“ (zu dem Mayfield die Musik geschrieben hatte).

Rap-Sympathisant Mayfield durfte sich ob der Verehrung durch die jüngere Generation nicht nur geschmeichelt fühlen, sie brachte ihm auch das ein, was in dieser Welt zählt: Geld. Viel früher als andere schwarze Künstler hatte er begriffen, daß sich die Last des Rassismus leichter schultern läßt, wenn die wirtschaftliche Unabhängigkeit durch das Copyright an den eigenen Songs garantiert ist. Die Erfahrung, in einer armen Familie aufzuwachsen, erzählt er, habe ihn schon sehr früh gelehrt, „daß es wichtig ist, so viel wie nur möglich an sich selbst zu besitzen“. Und so hob Curtis Mayfield schon 1961, mit nicht mal 20 Jahren, seinen eigenen Musikverlag aus der Taufe.

Das Geld dazu kam aus dem Erlös des Hits „Gypsy Woman“, den er zusammen mit seiner Band The Impressions hatte. Der Song „For Your Precious Love“, eine Soul- Ballade voll warmer Romantik, hatte bereits 1957 den Durchbruch für die Formation gebracht. Nach diesem Erfolg wollte VeeJay Records, wie damals üblich, den Sänger Jerry Butler als Solokünstler herausstellen und die Impressions zur Begleitband degradieren. Doch Mayfield und Co. sagten „No“ – statt dessen mußte Butler gehen. Der Songwriter Mayfield hatte damit sein Medium verloren, rückblickend für ihn „a blessing in disguise“ – erlaubte Butlers Abgang doch einem Mann, ans Mikro zu treten, der mit seiner hohen, dünnen Kopfstimme sonst wohl kaum dort gelandet wäre.

Mayfields Falsett und seine melodisch interpretierte Rhythmus- Gitarre blieben nicht die einzigen Markenzeichen der Impressions. Chicago hatte schon im Blues eine eigene, harte und unversöhnliche Gangart hervorgebracht, geprägt von der Big-City-Erfahrung der ländlichen Südstaatler nach dem großen Exodus. Im Soul kehrten sich die Vorzeichen um. Mayfield kreierte, auch auf seinen Produktionen (für Gene Chandler, Donny Hathaway) einen süßlich-subtilen Sound, der sich einer eindeutigen Festlegung eher entziehen konnte als der nackte Roots-Soul von Stax Records in Memphis und die emphatisch-mechanischen Tambourin-Beats der Hit-Maschinerie Motown in Detroit.

Die Impressions boten keine ausgefeilte Show-Choreographie wie etwa die Temptations. Wenn sie die Bühne betraten, herrschte respektvolle Stille im Zuschauerraum, damit Mayfield sein „Gedankenfutter“ (Mayfield) verteilen konnte. Auf den Spuren von Ray Charles hatte er sich bald darauf velegt, Gospelsongs („Amen“, „It's Alright“) zu säkularisieren, wobei sich im Zuge der Bürgerrechtsbewegung immer stärker auch eine sozialkritische Konnnotation („Keep On Pushing“) entfalten konnte – Jahre bevor ein Marvin Gaye sein „What's Goin' On“ machte und ein Stevie Wonder sein Coming-out als grübelnder Motown-Monarch mit kreativem Freiraum genoß.

Auf diesem Pfad schritt Mayfield voran, als er 1970 mit eigenem Label (Curtom) eine Solokarriere startete, die zwei Jahre später mit seinem Soundtrack zu „Superfly“, einem Straßen-der-Gewalt- Drama mit ausschließlich schwarzen Helden, ihren Höhepunkt erreichte. Mayfield hielt den Film für eine besseres „Cocain Commercial“ und arbeitete deshalb mit inhaltsschweren Songs wie dem Drogendealer-Epos „Freddie's Dead“ quasi gegen die Bilder an. Sein Glück: Der Soundtrack war schon drei Monate draußen, als der Film in die Kinos kam, und konnte so ein relatives Eigenleben entwickeln.

Mayfields Verknüpfung von sozialen, ökonomischen und ethnischen Issues, so geht die Legende, festigte sein Image eines Polit-Barden, der „unmißverständlich die

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Beseitigung von Rassendiskriminierung und politischer Korruption forderte“ („Rockmusik-Lexikon“/Christian Graf). Unmißverständlich? Mayfield beschränkte sich eben oft gerade nicht darauf, seine schwarze Gemeinde nur in Sicherheit zu wiegen, sondern formulierte aus individueller Wahrnehmung auch unbequeme Wahrheiten; solche, die nicht ins „Say It Loud – I'm Black And I'm Proud“- Raster paßten. Zwar rief er die Brothers & Sisters dazu auf, „viele eigene Läden“ zu gründen und wetterte gegen die ausbeuterischen Weißen.

Doch der Utopie einer autarken „Black Nation“ hing Mayfield nie nach. „This ain't no time for segregating“, heißt es in „We People Who Are Darker Than Blue“, einem seiner Schlüsselsongs, der auch heikle Themen wie Black-on- Black-Crime und die Mysogynie schwarzer Männer ansprach, ja sogar vom Genozid des schwarzen Volkes durch das schwarze Volk selbst sprach. „By the time we're really free“, orakelte Curtis Mayfield so düster, als lägen ihm schon die trüben Mordstatistiken der neunziger Jahre vor, „there will be no brothers left, you see...“ Und war es nicht ein grandioser und sehr „realistischer“ Moment der Verunsicherung, wenn er im Refrain von „Choice Of Colours“ trocken fragte: „Wenn du dir eine Hautfarbe aussuchen könntest – welche wäre es?“

Ende der siebziger Jahre kam dann Disco, eine Ära, die von Curtis Mayfields ausgefeilten Harmonien und Rhythmen, von den Brüchen in seinen Songs nichts mehr wissen wollte. Er habe, sagt er heute, weder gewußt, „was ich tun sollte, noch wie ich es tun sollte“. Allmählich geriet er in Vergessenheit, und es blieb einer nächsten Generation von Fans aus Übersee vorbehalten, die Erinnerung an ihn wachzuhalten – Paul Weller etwa, der mit The Jam „Move On Up“ coverte, den großen Hit aus Mayfields erstem Soloalbum „Curtis“.

1987 sah ich Curtis Mayfield zuletzt auf einer deutschen Bühne. Er hatte nichts Neues zu sagen damals, sich aber Wärme und Würde bewahrt, und er verwurstete seine alten Songs nicht lieblos in einem gigantischen Greatest-Hits-Medley, wie es zu dieser Zeit etliche seiner Soul-Zeitgenossen taten, die verzweifelt „zeitgemäß“ durch eine Zeit zu stolpern versuchten, die einfach nicht mehr die ihre war.

Einige von ihnen – Gladys Knight, Isley Brothers, B.B. King – sind jetzt auf einem „Tribute To Curtis Mayfield“ zu hören, einem Album, dessen Erlös die enormen Behandlungskosten nach dem Unfall begleichen helfen soll. Während die genannten Künstler (und noch einige andere) allerdings fast durchweg in einem modern aufgemöbelten Erwartungshorizont steckenbleiben, sind es Interpreten mit gänzlich anderer Tradition und Sozialisation, die Mayfields Stücken nahekommen – erstaunlichwerweise Bruce Springsteen etwa, der „Gypsy Woman“ beseelt-behutsam angeht. Pikantes Detail am Rande: Zwei der interessantesten Bearbeitungen mußten weltweit dem zeitlich begrenzten CD-Format weichen, nämlich Public Enemy (als einzige HipHop-Abordnung!) mit „We're A Winner“ und John Mellencamp, dem – siehe Springsteen – eine überraschend originelle Variante für „Freddie's Dead“ einfiel.

Diese Kastration mindert den (Gebrauchs-)Wert der Gala doch erheblich. Aber Namen wie Phil Collins, Eric Clapton, Stevie Wonder (dessen Beitrag erst in letzer Minute eintrudelte), Lenny Kravitz, Rod Stewart (schon wieder: „People Get Ready“) und ein völlig deplaziert gospelnder Elton John sind halt wichtiger für die Kasse.

Weniger fragwürdig geriet bereits im letzten Jahr „People Get Ready: A Tribute To Curtis Mayfield“, der nicht nur herausragende Einzelbeiträge (Jerry Butler mit Rap-Unterstützung, Vernon Reid & Michael Hill) offeriert, sondern durch die Teilnahme von Bunny Wailer auch wichtige Randbereiche von Curtis Mayfields Einflußsphäre in Erinnerung ruft. Schließlich formierte Bob Marley seine Wailers einst nach dem Vorbild der Impressions (Harmonies, Dress-Code).

Curtis Mayfield liegt derweil zu Hause, in einem Vorort von Atlanta, Georgia auf seinem Bett, umsorgt von seiner Frau Altheida und sechs seiner zehn Kinder. Hilflos zwar, bestimmt auch manchmal still verzweifelt, aber in seiner Haltung nach außen keineswegs verbittert. Seine größte Hoffnung ist, daß er irgendwann die Musik schreiben und machen kann, die ihm jetzt schon wieder im Kopf herumschwirrt. Neue Technologien (Stimmverstärker) sollen's möglich machen, so wie damals, als Mikrofone seine ohnehin dünne Stimme anschwellen ließen. Einmal gelang dies bereits: Auf „Let's Do It Again“ ist Mayfield als Gast-Stimme der Repercussions zu hören.

Aber vielleicht hört Curtis Mayfield auch gerade noch einmal die Version von „Makings Of You“, die Aretha Franklin neu aufgenommen hat – und ist wieder für einen kleinen Moment zufrieden mit dem, was er in seinem Leben geschafft hat. Dem Interviewer vom Rolling Stone jedenfalls sagte er: „Ich bin dankbar, daß ich immer noch hier sein kann, daß so viele Menschen mir ihre Liebe gezeigt haben. Und ich hoffe doch, daß ich einer dieser Typen mit einer glaubwürdigen Vita bin, die irgendjemanden da draußen sagen läßt: ,Das kann ich auch!‘“

– Various Artists: „Tribute To Curtis Mayfield“ (WEA).

– Various Artists: „People Get Ready: A Tribute To Curtis Mayfield“ (Shanachie/Koch).

– Curtis Mayfield & The Impressions: „The Anthology 1961-1977“ (MCA).

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