: Politischer Nachwuchs regiert im Reichstag
■ Europäisches Jugendparlament verfaßt Resolutionen zu Abtreibung und Rassismus / Plenum wird heute fortgesetzt
Von Rebellion und Aufbruchstimmung war nichts zu spüren, als sich das Europäische Jugendparlament (EPJ) gestern im Reichstag zu seiner Plenarsitzung zusammenfand. Auf der Vollversammlung, die heute fortgesetzt wird, verabschieden rund 250 Delegierte aus 23 europäischen Ländern zahlreiche Resolutionen. Diese werden dann dem Europaparlament in Straßburg zugeleitet. Auf der Tagesordnung stehen brisante Fragen wie die nach einer militärischen Intervention in Bosnien- Herzegowina und dem Nationalismus und Rassismus in Europa. Gestern wurde über das Pro und Contra eines europäischen Abtreibungsrechts diskutiert, und wie die ehemaligen Ostblockstaaten in die Europäische Union (EU) einbezogen werden können. Heute geht es unter anderem um Umweltfragen, Technologie, Forschung, Erziehung und Kultur.
Das 1987 ins Leben gerufene Europäische Jugendparlament tagt zweimal im Jahr. Als TeilnehmerInnen kommen laut Satzung nur Jugendliche in Betracht, die ein überdurchschnittlich großes Interesse an europäischer Politik haben. Sie müssen eigene Entscheidungen fällen und Kompromisse akzeptieren können sowie über exzellente Fremdsprachenkenntnisse in Englisch oder Französisch verfügen. Neben ihrer sehr guten Schulbildung hatten die gestern im Reichstag versammelten Jugendlichen auch äußerlich vieles gemein. Sie waren durch die Bank weg sauber und gepflegt gekleidet, von schrillen Farben und schrägen Punkfrisuren keine Spur. Viele der jungen Männer trugen Anzüge, weiße Hemden und Krawatten, die Frauen adrette Kostüme und Kleider. Nur ein paar Berliner SchülerInnen auf den Zuschauerbänken bildeten mit ihren verfilzten Haaren und langen Hippie-Röcken einen Kontrast.
Die gestrige Plenarsitzung begann mit Standing ovations und einem Geburtstagsständchen für Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth. Die Schirmherrin der Veranstaltung versprach, sich beim britischen Premierminister Major dafür einzusetzen, daß die 17jährige Vedrana aus Sarajevo ein Visum für ein Studium in England bekommt (siehe Bericht unten). Dann stellten die ersten Arbeitsgruppen ihre Resolutionen vor. Die AG Gesundheit, die sich mit einem europäischen Abtreibungsrecht befaßt, plädierte dafür, daß die einzelnen Länder aus ethischen Gründen weiterhin allein über diese Frage entscheiden sollten. Allerdings solle eine Pflichtberatung auch in liberalen Ländern generell zur Bedingung gemacht werden solle. Die Resolution wurde vom Plenum mit 123 Stimmen angenommen, 77 stimmten dagegen, 29 enthielten sich. Der Abstimmung war eine offene Diskussion vorausgegangen, bei der manche der RednerInnen eine Abtreibung mit einem Mord verglichen.
Heute geht es unter anderem um Rassismus und Nationalismus in Europa. Die betreffende Arbeitsgruppe verwahrt sich in ihrem Papier dagegen, daß das Wort Nationalismus von den Medien zunehmend als Synonym für Extremismus „mißbraucht“ wird. Eine multikulturelle Gesellschaft könne man nicht von heute auf morgen werden. Dies sei nur durch Erziehung und Aufklärung möglich: Die europäische Generation müsse langsam heranwachsen. Plutonia Plarre
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