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Komprimiert wie Altpapier

■ Weiß und arm in L.A.: „Floundering“ von Peter Mc Carthy

Los Angeles: da denkt man schnell an ausgebrannte Supermärkte und schwarze Kids, die durch die Gegend rappen und um sich ballern. Die Wiege des HipHop. „Boyz ‘n the hood“ und „New Jack City“ wollten uns zeigen, wo es langgeht, in South Central L.A. Über diesen Filmen konnte man fast vergessen, daß es in Los Angeles auch ein paar weiße Jugendliche geben muß, die mit ähnlichen sozialen Problemen konfrontiert sind wie die schwarzen Brüder.

Auf den weißen Youngster John Boyz (!!) hageln denn auch die Katastrophen nur so nieder. Im Unterschied zu den gleichaltrigen Ethnics, zumindest in Filmen, ist Johnny völlig allein. Er hat keine posse, bei der er sich ausweinen und mit der er mit drive by shootings zurückschlagen könnte. „Floundering“ ist, so nennt man das wohl, eine bitterböse Satire auf die Verhältnisse in den USA heute. Zynisch und ironisch, schnell wie umstürzende Dominosteine. John ist arbeitslos, in seiner kleinen Wohnung muß er ständig die Ameisen aufsaugen. In der Glotze verfolgt ihn, egal, wo und wann er sie einschaltet, die feiste Visage des Polizeichefs von L.A. Der fordert, die aufständischen Kids mit Waffengewalt zu bändigen. Als der Bulle seine Waffe auf John richtet, zieht dieser seine nagelneue Pistole aus dem Hosenbund und zielt, aber er ist dem Bullen haushoch überlegen: „Glaubst du, ich bin so blöd, auf meinen Fernseher zu schießen?“

Lieber fährt John in seinem Cabrio durch die Gegend. Durch eine neighborhood, in der es keinen Nachbarn mehr gibt, wo kilometerweit ausgebrannte Supermärkte die Straßen säumen. Ironie und Galgenhumor bewahren den Film vor der Sozialschmonzette. Wenn John seine schmutzige Junggesellenwohnung verläßt, kann alles nur noch schlimmer werden. Der Zuschauer folgt seinem Helden zum Arbeitsamt, wo ihm eine Schönheit auf seine Frage nach Jobs eine laute Lache aufschlägt. Weiter geht‘s zu seinem drogensüchtigen Bruder, der gerade aus der Entzuganstalt getürmt ist, erzählt, die Gehirnwäscher seien hinter ihm her. Johnny bringt ihn zurück ins Krankenhaus. Jetzt hilft nur noch ein Besuch bei seiner Busenfreundin Jessica. Als er in ihr Fenster schaut, hat die Kamera für uns schon das nächste Desaster ausgemacht: zwei Paar Beine bewegen sich rhythmisch zwischen Bettlaken.

„Floundering“ erzählt keine Geschichte. Er beschreibt einige Tage im Leben eines jungen Mannes, als ginge es darum, den ganz normalen täglichen Wahnsinn in 97 Minuten unterzubringen, komprimiert wie ein Ballen zusammengepreßtes Altpapier. Pausen gibt‘s dabei für John nicht, denn im Schlaf geht‘s erst richtig rund: Vor seinem Haus hocken drei dunkle Gestalten und rauchen Crack. Das sei nicht gesund, ruft er ihnen zu. Kurze Zeit später sitzt er neben den Herren, die ihm erstmal, als hätten sie just Diedrich Diederichsen verschluckt, den feinen Unterschied zwischen riot und revolution verklickern. John will bei den revolutionären Vorbereitungen nicht länger nur Zuschauer sein und raucht mit.

Am nächsten Morgen liegt er wie tot auf dem Bürgersteig. Nun folgt eine der hübschesten Episoden des Films: John wird erst die Brieftasche geklaut (von Weißen, die aus einem dicken Auto steigen), zwei Jogger ziehen ihm seine Sneakers aus, und eine Hausfrau nimmt schließlich auch noch seine Jacke mit. Der unfreiwillige Striptease besticht in der für „Floundering“ typischen Mischung aus Realismus – im Dritte-Welt-Land USA werden Tote tatsächlich häufig von menschlichen Aasgeiern gefleddert – und sarkastischem Humor. Johnny erwacht in T-Shirt und Unterhose und flüchtet in seine Bude zurück. Im TV wartet schon längst der Bulle auf ihn. Aber der wird sein Fett von Johnny schon noch abkriegen. Andreas Becker

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