: Atomtelepathie Von Mathias Bröckers
Zwei Photonen, die in entgegengesetzte Richtungen gesandt werden, bleiben miteinander verbunden, auch wenn sie Lichtjahre voneinander entfernt sind. Ändert Photon 1 seinen Energiezustand, vollzieht Photon 2 im selben Augenblick dieselbe Änderung. Wie diese magische Kommunikation funktioniert, ist eines der fundamentalen Rätsel der Quantenphysik, denn eigentlich kann sich in unserem Universum nichts schneller bewegen als Licht.
Doch der Effekt dieser Zeit und Raum überwindenden sogenannten „nicht-lokalen“ Verbindungen wurde zweifelsfrei nachgewiesen: in den 60er Jahren auf mathematischem Wege durch John Bell und experimentell in den 80er Jahren von Alain Aspect. Damit war die „geisterhafte Fernwirkung“ im subatomaren Bereich, über die Albert Einstein bis an sein Lebensende mit den Vätern der Quantenmechanik im Streit lag – er hielt so etwas schlicht für unmöglich –, eine bewiesene Tatsache.
Zwei Männer, einer in Europa, einer in Australien, verfügen nur über ein Paar verschiedenfarbiger Socken, jedesmal, wenn der eine die rote Socke links und die blaue rechts anzieht, wechselt auch sein Kollege auf der anderen Erdseite automatisch – und umgekehrt. Mit Geschichten wie dieser versuchten die Quantenphysiker in der Vergangenheit das Mysterium des nicht-lokalen Informationstransfers darzustellen – nicht ohne hinzuzufügen, daß dies alles ja nur für den subatomaren Mikro-Bereich gelte, während in unserer materiellen Makro-Welt weiterhin alles in bester Ordnung sei. Künftig ist es mit dieser leutseligen Beruhigung nichts mehr: nicht nur winzige Lichtteilchen, sondern auch ganze Atome können in unmittelbarem telepathischem Kontakt stehen. Das entdeckte Gerhard Hegerfeldt von der Universität Göttingen, als er die berühmten Gleichungen des Quantenmechanikers Enrico Fermi aus dem Jahr 1932 nachrechnete. Fermi hatte berechnet, wann ein Atom auf die Strahlung eines entfernten anderen Atoms reagiert, und gefunden, daß die Reaktion in Lichtgeschwindigkeit vonstatten geht. Weil dies dem gesunden Menschenverstand ebenso entsprach wie dem herrschenden physikalischen Weltbild, waren seine Gleichungen niemals nachgerechnet worden – bis Hegerfeldt jetzt einen Fehler fand und zeigte, daß unter bestimmten Umständen auch Atome in Überlichtgeschwindigkeit kommunizieren können (Physical Review Letters, Vol. 72, S. 596). „Die beste Interpretation des Geschehens scheint“, so der New Scientist, „daß wir kein Objekt und nicht einmal ein einzelnes Atom als isoliertes System begreifen sollten.“ Das liest sich so locker weg – beinhaltet aber eine Revolution des herrschenden Weltbilds.
Lagen die Voodoo-Zauberer gar nicht so falsch, wenn sie sich zwecks Fernbeeinflussung ein Haar des Klienten ausbaten? Konnten die großen Magier selbst auf diese „Drähte“ verzichten, weil sie die transatomare Datenfernübertragung direkt anzapften? Sendet etwa das gesamte Universum auf Milliarden Simultanwellen Billionen von Programmen – und wir blinden Hühner empfangen von dieser vibrierenden Programmvielfalt keinen einzigen Kanal? Dem Physikunterricht wird es künftig obliegen, die Satellitenschüssel im Hirnkastl auf diese Frequenzen auszurichten.
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