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Von Mäusen und Menschen

■ Die Batsheva Dance Company im Hebbel-Theater

„Mabul ist optimistischer als andere Stücke, die ich gemacht habe. Ich übertreibe meinen Optimismus, seit ich mich nicht mehr als einen glücklichen Menschen betrachte.“

Solchen Grübeleien zum Trotz: Ohad Naharin, der Choreograph und künstlerische Leiter der israelischen Tanztruppe Batsheva Dance Company ist weit von purem Entertainment entfernt. In der neuen Produktion, mit der Batsheva zur Zeit im Hebbel-Theater gastiert, ist eher der Verlust des naiven Glaubens ans ungebrochene Glück zu sehen, ein herbes Mißtrauen, das sich nur kurze Momente der Gelöstheit erlaubt. Vivaldi-Klänge mischen sich mit John Zorns hartem Avantgarde- Punk, und die Tänzer fallen von einer Welt in die andere: Vom Italien des 17.Jahrhunderts direkt ins New York der Neunziger.

Das ist eher ein Kurzschluß der Stimmungen, ein Sich-Durchkreuzen und Einander-Durchstreichen der Gefühle als eine Reise mit der postmodernen Sample- und Zeitmaschine. „Authentisch“ ist weder das eine noch das andere: Punk und Barock, beides nicht mehr als Zitate.

In einer langen Sequenz dreht sich ein Tänzer – mit einer weißen Maus auf dem Kopf – einsam über die Bühne, und die Maus, die hilflos und desorientiert umherkrabbelnd, sich um nichts bemüht, als einigermaßen das Gleichgewicht zu halten, wird zum Sinnbild für die Menschen, wie Ohad Naharin sie zeigt.

Der Abend, der solch apokalyptische Metaphern bereithält, beginnt hinterhältig friedlich: Zum wunderschön sakralen Gesang von Ohad Naharin bewegen sich die Tänzer hintereinander in Schleifen durch den Raum: Bild einer etwas kitischigen Harmonie, die sich eruptiv auflöst. Später werden aus einem barocken Tanzreigen die Frauen ausbrechen und schrill schreiend den Soundtrack von Vivaldi demolieren. Gewalt und Kunstschönheit gehen innigste Verbindungen ein: Ein Mensch, der seinen nackten Oberkörper als Schlaginstrument gebraucht, gibt einem Chor den Rhythmus zu einem düsteren Sprechgesang vor. Das kippt um, als der Chor zu sakralen Gesängen wechselt und sich der Nackte immer schneller, rhythmischer und fester schlägt – der harte Beat mutiert zur Selbstgeißelung. Der moderne Musiker als Märtyrer.

Ohad Naharin setzt schroff Ordnung und Chaos gegeneinander, konkrete und abstrakte Bilder, sensuelle und intellektuelle Reize durchdringen und potenzieren, zerstören und brechen sich. Scheinbar zufällig wird die hochkultivierte Schönheit Vivaldis und Arvo Pärts Edelkitsch von unbarmherzigem Punk aufgesprengt: ein akustisches Rollkommando gegen jede Harmonie.

Das Ineinander der Zeiten, das Zerbrechen der (kosmischen) Ordnung ist im Titel des Abends angedeutet: „Mabul“ ist das hebräische Wort für Sintflut. Aber es bedeutet noch eine ganze Menge anderes: Unordnung, Chaos, extreme Dissonanz und Spannung. Keine Fabel, auch keine Leitmetapher, sondern ein Stück ohne Anfang und Ende und darin dem herbeizitierten Barock untergründig verwandt: Ein Schauspiel, das vorübergeht und seine schwer lesbaren Spuren im Zuschauer hinterläßt. Michaela Schlagenwerth

Noch heute und morgen, jeweils 20 Uhr, im Hebbel-Theater, Stresemannstraße 29, Kreuzberg.

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