Mit Witzgeschwindigkeit 5/min

Uraufführung von Oliver Bukowskis „Ob so oder so“ in der Studiobühne des Hans-Otto-Theaters Potsdam: Aufregend wie ein Testbild, allerhöchstens  ■ Von Thomas Milz

Es gibt Aufführungen, die man nur mit schlechtem Gewissen kritisieren kann, da man sich automatisch im Ton vergreift. Man wird dann schäbig und kann es doch nicht anders sagen. Wie hier, beim Bericht über die Uraufführung von Oliver Bukowskis zehntem Stück im Potsdamer Hans-Otto-Theater.

Absicht und Ergebnis des Theaterabends sind nicht dem Bühnengeschehen, sondern gleich aus dem Programmfaltblatt des Theaters abzulesen. Dort heißt es über den Autor: „Er kann Dialoge schreiben, er hat Witz und eine unbändige szenische Phantasie, was ... auch sein neuestes Stück ,Ob so oder so‘ wieder unter Beweis stellt.“

Dermaßen vorinformiert, kann das hier auch bestätigt werden. Die durchschnittliche Witzgeschwindigkeit dieses Stückes liegt bei etwa 5 per min und wird anderthalb Stunden konstant durchgehalten. Nur Schwabs Pointendichte war etwas höher. Über den gewünschten Effekt klärt wiederum der Programm- oder Werbezettel auf, nämlich, „daß an diesem Stück auch ein jugendliches Publikum Spaß haben wird“. Was aber könnte diesem jugendlichen Publikum, um das hier so geworben wird, daran gefallen? Das Stück geht um die zwei Jugendlichen Mona und Nick. Die plänkeln miteinander rum, zwischen zynisch und zart, haben kein Geld und hängen sichtbar, auf einer Hängematte, in der Luft. Das sieht die ersten zehn Minuten so aus, als ob hier eine scharfe Momentaufnahme jugendlicher Befindlichkeit versucht würde. Zwanzig Jahre nach Plenzdorfs Edgar Wibeau wäre man sehr gespannt. Dann aber hat der Autor den Einfall, die beiden in eine Wohnung eindringen zu lassen; und eine ganz andere Geschichte beginnt.

Nick erzählt Mona, daß seine Mutter dort lebe. Während Mona mal so richtig schön badet, kommt eine junge Frau und überrascht Nick beim Klauen. Sie ist natürlich doch nicht Nicks Mutter, läßt sich aber vor Mona auf das Spiel ein. Mona verschwindet. Zwischen der Frau und Nick beginnt ein belangloses Gespräch. Sie ist enttäuscht darüber, daß Nicks Einbruch keine edlen Anarcho-Motive hat. Er sagt: „Ich veränder' schon keine Welt; ich werde immer erst gegen 11 Uhr wach.“

Ich bin hier noch gar nicht enttäuscht, geht es doch jetzt um den heftigen Konflikt der 68er mit ihren Kindern. Die Frau sagt: „Ich war auch mal jung und atemraubend politisch. Irgendwann bekam ich dann Lust auf ein eigenes Bett, und damit fing der Weltuntergang an.“ Was mich betrifft, ich hatte schon als Kind ein eigenes Bett und bin erst später politisch geworden. Aber es bleibt mir gar keine Zeit, über meinen untypischen Fall nachzudenken, weil die Geschichte schon wieder eine neue Wendung nimmt. Es stellt sich jetzt nämlich heraus, daß sich Nick und die Frau schon gegenseitig seit Wochen beobachtet haben. Der Einbruch gibt sich plötzlich als ein nachdrücklicher Annäherungsversuch zu erkennen! Die Witzgeschwindigkeit nimmt wieder zu.

Die Frau ist übrigens Anlagenberaterin von Beruf. Es finden noch eine längere Weile spritzige Dialoge statt, die ich viel lieber vom großen Juhnke und von der von mir verehrten Ruth-Maria Kubitschek verkörpert sehen würde. Aus meiner sicher produktiven Irritation werde ich aber erlöst, als die Geschichte dann eine letzte Wendung nimmt und ich schon wieder hilfesuchend ins Programm-Info schauen muß: „In seinem neuesten Stück gelingt es ihm (also Bukowski) ein weiteres Mal auf glänzende Weise, den Zuschauer immer wieder auf falsche Fährten zu locken und damit in Spannung zu halten.“

Alle Achtung! Da bin ich aber mit meinen konventionellen Erwartungen zu Recht hübsch reingelegt worden, denke ich mir jetzt und muß verschmitzt darüber lächeln, auf wie „glänzende Weise“ dem Autor das gelungen ist. Und in der Tat, etwa drei-, viermal wurde dem Zuschauer mit der Spannungs-Angel ein immer neues Motivwürmchen hingehalten, das sich dann unversehens in Nichts auflöste. Ich weiß zwar nicht, wie blöd Fische sein können – aber was für ein drolliger Angler!

Wie Schuppen fällt es einem dann endlich von den Augen: „Ob so oder so“ – und anders auch nicht; „Aufregend wie'n Testbild“, sagt Nick irgendwo und irgendwann in diesem Stück, das Holger Schultze irgendwie inszeniert hat.

Schlußsatz: Oliver Bukowski hat mit „London – äh – Lübbenau“ vor zwei Jahren ein wirklich beachtliches Stück geschrieben, das noch immer im „Theater 89“ zu sehen ist.

„Ob so oder so“ von Oliver Bukowski. Regie: Holger Schultze, Ausstattung: Anne-Katrin Hendel. Mit Rita Feldmeier, Stefan Kolosko, Gabriele Völsch. Nächste Vorstellungen am 8. und 19.3., 19.30 Uhr, Studiobühne des Hans- Otto-Theaters, Heinrich-Mann- Allee 103, Potsdam.